Die Rückkehr des Tanzlehrers
Woche Urlaub, die er in Berlin verbrachte. Wer ihn zu meinem Vater geschickt hat, haben wir nie erfahren. Aber er wurde der Schüler meines Vaters, und er wollte vor allem Tango lernen. Jedesmal, wenn er Urlaub hatte, kam er nach Berlin zurück. Wie oft das war, weiß ich nicht. Aber ich erinnere mich an diesen jungen Soldaten, den ich mehrmals gesehen habe. Ich sehe sein Gesicht noch vor mir, und ich erkannte ihn in Herbert Molin, als ich ihn endlich fand.«
Der Mann stand auf. Wieder dieses Knarren. Plötzlich erkannte Stefan das Geräusch. Aber es war aus dem Haus auf Öland, wo Emil Wetterstedt sich aufgehalten hatte. Ich werde langsam wahnsinnig, dachte Stefan verzweifelt. Ich erkenne ein Geräusch von Öland, aber ich befinde mich in Härjedalen.
Die Stimme kehrte zurück, jetzt kam sie von rechts. Der Mann hatte sich in einen anderen Stuhl gesetzt, der nicht knarrte. In Stefans Kopf zeichnete sich eine weitere Erinnerung ab. Er kannte auch den Stuhl, der nicht knarrte. In was für einem Raum befand er sich? Er mußte darauf kommen.
»Ich war damals zwölf Jahre alt. Mein Vater hielt seine Tanzstunden zu Hause ab. Als der Krieg 1939 begann, verlor mein Vater seine Tanzschule. Eines Tages war plötzlich ein Judenstern an die Tür gemalt. Er sprach nie darüber. Niemand sprach darüber. Wir sahen unsere Freunde verschwinden, aber mein Vater blieb. Irgendwo im Hintergrund befand sich mein Onkel, der Hermann Göring massierte. Das verlieh unserer Familie einen unsichtbaren Schutz, niemand durfte uns etwas antun. Bis Herbert Molin kam und der Schüler meines Vaters wurde.«
Dem Mann versagte die Stimme. Stefan suchte fieberhaft nach einer Antwort auf die Frage, wo er sich befand. Das mußte er als erstes wissen, dann erst konnte er überlegen, wie er sich befreien sollte. Der Mann, der ihn hier festhielt, war vielleicht unberechenbar. Er hatte Herbert Molin getötet, ihn gequält. Er hatte genauso gehandelt wie die Menschen, von denen er redete.
Der Mann sprach weiter. »Ich schaute öfter einmal in das Zimmer, in dem mein Vater Tanzunterricht gab. Eines Tages begegneten sich unsere Blicke, und der junge Soldat lächelte. Ich erinnere mich noch immer daran. Ich mochte ihn. Ein junger Mann in Uniform, der lächelte. Weil er nie etwas sagte, glaubte ich natürlich, er sei Deutscher. Ich konnte nicht ahnen, daß er aus Schweden kam. Was nachher geschah, kann ich nicht sagen, aber er wurde einer von Waldemar Lehmanns Handlangern. Irgendwie mußte Lehmann erfahren haben, daß Herbert Molin bei einem dieser verhaßten Juden, die noch immer in Berlin lebten und dreist genug waren, sich wie gewöhnliche, freie, gleichwertige Menschen zu verhalten, Tanzstunden nahm. Wie es ihm gelang, Herbert Molin zu bekehren, entzieht sich ebenfalls meiner Kenntnis, aber Waldemar Lehmann war einer der begabtesten Handlanger des Teufels. Es gelang ihm, Herbert Molin in ein Ungeheuer zu verwandeln. Eines Nachmittags kam er zu seiner Tanzstunde. Ich pflegte im Flur zu sitzen und auf das zu lauschen, was dort drinnen geschah, wo mein Vater die Möbel an die Wände gerückt hatte, um seine Stunden geben zu können. Der Raum hatte dunkle Vorhänge und einen glattgeschliffenen Parkettboden. Ich hörte die freundliche Stimme meines Vaters, wie er die Takte zählte und >linker Fuß< und >rechter Fuß< sagte, und daß der Rücken stets gerade sein sollte. Plötzlich verstummte das Grammophon. Es wurde vollkommen still. Ich glaubte zuerst, sie hätten eine Pause gemacht. Dann ging die Tür auf, und Herbert Molin verließ in großer Hast die Wohnung. Ich sah seine Füße, seine Tanzschuhe, als er verschwand. Normalerweise kam mein Vater heraus, wischte sich den Schweiß von der Stirn und lächelte mir zu. Aber diesmal blieb es vollkommen still. Ich schaute ins Zimmer. Mein Vater war tot. Herbert Molin hatte ihn mit Vaters eigenem Gürtel erdrosselt.«
Und dann die Fortsetzung, die Stefan als einen langgezogenen Schrei empfand.
»Er hatte ihn mit seinem eigenen Gürtel erdrosselt und ihm eine zerbrochene Schallplatte in den Mund gesteckt. Das Etikett war blutig, aber es war ein Tango, soviel konnte ich sehen. Ich habe mein ganzes Leben nach dem Mann gesucht, der meinem Vater das angetan hat. Erst als ich durch einen merkwürdigen Zufall mit Höllner zusammentraf, erfuhr ich, wer der Mörder war. Daß es ein Schwede war, der meinen Vater getötet hatte. Ein Mensch, der nicht einmal gezwungen gewesen war, Hitler zu dienen, geschweige denn seinen
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