Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
vollkommen sinnlosen, unbegreiflichen Haß an den Juden auszulassen. An dem Mann, der versucht hatte, ihm dabei zu helfen, seine Schüchternheit zu überwinden und tanzen zu lernen. Ich weiß nicht, was Lehmann mit Herbert Molin gemacht hat. Was er ihm eingepeitscht hat. Womit er gedroht hat. Wie er von dem endgültigen nazistischen Wahnsinn befallen wurde. Aber das ist auch bedeutungslos. Er ist an jenem Tag in unsere Wohnung gekommen. Nicht um zu tanzen, sondern um meinen Vater zu töten. Es war ein Mord, so brutal, so entsetzlich, daß es sich eigentlich gar nicht beschreiben läßt. Da lag mein Vater mit seinem eigenen Gürtel um den Hals, und es war nicht nur er, der tot war, es waren auch seine Frau, meine Mutter, meine Geschwister und ich. Wir alle starben da mit diesem Gürtel um den Hals. Wir lebten weiter. Meine Mutter nur noch wenige Monate, bis es ihr gelungen war, für meine Geschwister und mich die Ausreise zu erwirken. Das war der letzte Dienst, den mein Onkel Göring abringen konnte. Als wir endlich in die Schweiz gekommen waren, nahm sie sich das Leben, und heute bin nur noch ich übrig. Keines meiner Geschwister ist älter als dreißig geworden. Mein Bruder hat sich zu Tode getrunken, meine Schwester hat sich das Leben genommen, und ich landete in Südamerika. Ich habe nach diesem Mann gesucht, diesem Soldaten, der meinen Vater getötet hat. Ich fand es unvorstellbar, daß er das Recht haben sollte zu leben, während mein Vater tot war. Schließlich fand ich ihn. Einen alten Mann, der sich im Wald versteckt hatte. Ich tötete ihn. Gab ihm seine letzte Tanzstunde. Ich war schon auf dem Weg zurück nach Hause, als jemand Molins Nachbarn tötete, und ich frage mich, ob ich die Schuld dafür trage.«
    Stefan wartete auf eine Fortsetzung. Er dachte an den Namen, den Fernando Hereira genannt hatte. Höllner. Es mußte etwas Entscheidendes passiert sein, als sie sich trafen.
    »Wer war Höllner?«
    »Der Mann, der mir die Botschaft brachte, auf die ich mein ganzes Leben lang gewartet hatte. Ein Mann, der eines Abends in Buenos Aires zufällig im selben Restaurant saß. Als ich entdeckte, daß er ein deutscher Immigrant war, fürchtete ich zunächst, er sei einer von all diesen Nazis, die sich in Argentinien versteckten. Dann wurde mir klar, daß er war wie ich. Ein Mann, der sich immer von Hitler distanziert hatte.«
    Fernando Hereira verstummte wieder. Stefan wartete.
    »Wenn ich zurückdenke, kommt mir alles so einfach vor«, fuhr er fort. »Höllner kam genau wie ich aus Berlin, und sein Vater war Mitte der dreißiger Jahre von meinem Onkel massiert worden. Mein Onkel war ein Mann, der sich für Hermann Göring unersetzlich gemacht hatte; der litt aufgrund seines Morphiummißbrauchs unter ständigen Schmerzen und konnte keinen anderen Masseur ertragen. Das war der eine Ausgangspunkt. Der zweite war der Mann, der Waldemar Lehmann hieß. Ein Mann, der in verschiedenen Konzentrationslagern Menschen gequält und ermordet hatte. Sein Bruder war genauso gewesen. Er wurde im Herbst 1945 hingerichtet, aber Waldemar wurde nie gefaßt, obwohl viele ihn suchten. Er stand weit oben auf der Liste von Kriegsverbrechern, an deren Spitze Bormann geführt wurde. Eichmann konnte man fassen, nicht aber Waldemar Lehmann. Einer von denen, die nach ihm suchten, war ein englischer Major namens Stuckford. Warum er es tat, weiß ich nicht, aber er hielt sich 1945 in Deutschland auf und muß Ungeheuerliches gesehen haben, als die Konzentrationslager befreit wurden. Er war auch dabei, als Josef Lehmann gehängt wurde. Bei seinen Nachforschungen hatte dieser Major Stuckford Hinweise darauf erhalten, daß ein schwedischer Soldat gegen Ende des Krieges zu einem von Waldemar Lehmanns Schergen geworden war und daß er einen brutalen Mord an seinem Tanzlehrer begangen hatte. Einen Mord, zu dem ihn Waldemar Lehmann gedrängt hatte.«
    Fernando Hereira verstummte, als müsse er Kraft sammeln, um seine Erzählung zu Ende führen zu können.
    »Irgendwann, lange nach Kriegsende, trafen sich Höllner und Stuckford bei einer Konferenz, bei der es um die Jagd auf Kriegsverbrecher ging. Sie waren beide erbitterte Nazigegner und unterhielten sich über den verschwundenen Waldemar Lehmann. Im Laufe des Gesprächs erfuhr Höllner von dem brutalen Mord an einem Tanzlehrer in Berlin, und er erfuhr auch den Namen dessen, der den Mord begangen hatte. Ein Schwede namens Mattson-Herzen. Ein anderer Nazi hatte ihn während eines der vielen Verhöre, die

Weitere Kostenlose Bücher