Die Rückkehr des Tanzlehrers
Wenn ich nicht von hinten überfallen werde, bin ich stärker als er. Ich bin siebenunddreißig, und er ist fast siebzig. Er kann mich nicht losmachen, weil ich ihn dann überwältigen würde. Er weiß, daß er einen Polizisten angegriffen hat, was das Schlimmste ist, das man tun kann. Ob man sich nun in Schweden befindet oder in Argentinien.
Stefan erkannte jetzt vollkommen klar, daß der Mann ihn töten könnte. Er hatte gerade erzählt, was geschehen war, er hatte ein Geständnis abgelegt, und was blieb jetzt? Die Flucht, nichts anderes. Und die Frage, was er mit einem Polizisten machen sollte, den er in seiner Gewalt hatte.
Ich habe sein Gesicht nicht gesehen, dachte Stefan. Solange ich das nicht getan habe, kann er mich hier zurücklassen und verschwinden. Ich muß zusehen, daß er mir die Binde nicht abnimmt.
»Wer war der Mann, der auf der Straße gestanden hat und mich töten wollte?«
Der Mann schien plötzlich wieder ungeduldig zu werden.
»Ein junger Nazi. Er heißt Magnus Holmström.«
»Ist er Schwede?«
»Ja.«
»Ich dachte, dieses Land sei ein anständiges Land. Ohne Nazis. Abgesehen von den alten. Denen, die zu Hitlers Generation gehören und noch nicht gestorben sind. Die sich immer noch in ihren Löchern verstecken.«
»Es gibt eine neue Generation. Es sind nicht viele, aber es gibt sie.«
»Ich spreche nicht von jungen Männern mit kahlrasierten Schädeln. Ich rede von denen, die in Blut träumen. Die Völkermord planen. Die eine Welt mit weißem Herrenmenschentum vor sich sehen.«
»Magnus Holmström ist einer davon.«
»Ist er gefaßt worden?«
»Noch nicht.«
Schweigen. Die Flasche klirrte wieder.
»War sie es, die ihn gebeten hat zu kommen?«
Welche >sie<, dachte Stefan. Dann sah er ein, daß es nur eine Möglichkeit gab. Elsa Berggren.
»Das wissen wir nicht.«
»Wer hätte es sonst sein können?«
»Auch das wissen wir nicht.«
»Aber es muß ein Motiv gegeben haben.«
Vorsicht, dachte Stefan. Nicht zu viel sagen, nicht zu wenig, vor allem das Richtige. Aber was ist das? Er will wissen, ob er Schuld an der Sache trägt, was er natürlich tut. Als er Herbert Molin getötet hat, war es, als habe er einen Stein umgewälzt. Die Kellerasseln sind in verschiedene Richtungen verschwunden. Jetzt wollen sie wieder unter den Stein zurück. Sie wollen, daß jemand den Stein wieder so hinlegt, wie er gelegen hat, bevor hier in den Wäldern die große Unruhe ausgebrochen ist.
Es gab immer noch vieles, was er nicht verstand. Es war, als fehle immer noch ein Glied. Als werde alles von einem unsichtbaren Moment zusammengehalten, das er nicht zu entdecken vermochte. Er nicht, Giuseppe nicht, niemand.
Er dachte an Herbert Molins Haus, das draußen im Wald in Flammen stand. Die Frage zu stellen schien ihm ungefährlich zu sein.
»Haben Sie Herbert Molins Haus in Brand gesteckt?«
»Mir war klar, daß die Polizei dort hinfahren würde. Aber Sie vielleicht nicht. Ich wußte es nicht. Es war eine Möglichkeit, und ich hatte recht. Sie sind im Hotel geblieben.«
»Warum ich? Warum nicht einer von den anderen Polizisten?«
Der Mann antwortete nicht. Stefan dachte, daß er sich geirrt hatte. Daß er trotz allem eine gefährliche Grenze überschritten hatte. Er wartete. Die ganze Zeit suchte er fieberhaft in seinem Kopf nach einer Möglichkeit zu entkommen, die Situation zu verändern, den Raum zu verlassen, in dem er gefesselt saß. Um das zu schaffen, mußte er als erstes wissen, wo er sich befand.
Wieder klirrte die Flasche. Dann stand der Mann auf. Stefan horchte. Plötzlich konnte er die Vibrationen der Schritte auf dem Fußboden nicht mehr wahrnehmen. Es war still. Hatte der Mann den Raum verlassen? Stefan strengte alle seine Sinne an, aber der Mann schien verschwunden.
Eine Uhr begann zu schlagen. Im gleichen Augenblick wußte Stefan, wo er sich befand. Er war in Elsa Berggrens Haus. Es war ihre Uhr. Er hatte sie zum erstenmal gehört, als er sie allein besuchte. Er hatte auch auf den speziellen Klang gehört, als er mit Giuseppe dort gewesen war.
Im selben Augenblick wurde die Binde von Stefans Gesicht gerissen. Es ging so schnell, daß er überhaupt nicht reagieren konnte. Er war wirklich in Elsa Berggrens Wohnzimmer. Auf genau dem Stuhl, auf dem er gesessen hatte, als er sie zum erstenmal besucht hatte. Der Mann stand hinter ihm. Stefan drehte vorsichtig den Kopf.
Fernando Hereira war sehr blaß. Er war unrasiert und hatte dunkle Schatten unter den Augen. Seine Haare waren grau
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