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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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herunter, um das Licht über dem Hoteleingang auszusperren. Da sah er etwas, was ihn erstarren ließ.
    Unten auf dem Vorplatz stand ein Mann. Ein Schatten, nur schwach beleuchtet. Jemand, der zu seinem Fenster hinaufsah. Stefan hatte ein weißes Unterhemd an. War es zu sehen, obwohl es im Zimmer dunkel war? Der Schatten bewegte sich nicht. Stefan hielt den Atem an. Plötzlich hob der Mann langsam die Arme über den Kopf, als würde jemand eine Waffe auf ihn richten. Es sah aus wie eine Geste der Unterwerfung.
    Dann wandte er sich abrupt um und verschwand.
    Hatte Stefan geträumt? Aber die Spuren des Mannes waren klar zu erkennen.
    Stefan warf sich in seine Kleider, riß die Schlüssel an sich und stürzte aus dem Zimmer. Die Rezeption war verlassen, die Kartenspieler waren verschwunden. Nur das Kartenspiel lag über den Tisch verstreut. Stefan lief hinaus in die Dunkelheit. In einiger Entfernung hörte er das Motorgeräusch eines Wagens, der davonfuhr. Er stand vollkommen still und sah sich um. Dann ging er zu der Stelle, an der der Mann gestanden hatte. Die Fußspuren im Schnee waren ganz deutlich. Er war auf dem gleichen Weg verschwunden, auf dem er gekommen war. Hinauf zu dem Teil des Hotelvorplatzes, der sich zur Straße hin erstreckte, wo das Möbelgeschäft lag.
    Stefan betrachtete die Fußspuren. Sie bildeten ein Muster. Dann erkannte er, daß er die gleiche Anordnung schon einmal gesehen hatte.
    Hier hatte ein Mann gestanden und zu seinem Fenster aufgesehen, und er hatte im knisternden Neuschnee die Grundschritte des Tangos angedeutet.
    Als Stefan die gleichen Fußspuren zum erstenmal gesehen hatte, waren sie mit Blut gezeichnet.
    Er dachte, daß er Giuseppe anrufen sollte. Das wäre das einzig Vernünftige. Aber etwas hielt ihn zurück. Es war immer noch unwirklich. Die Spuren im Schnee. Der Mann, der unter seinem Fenster gestanden und die Arme langsam in einer Geste der Unterwerfung erhoben hatte.
    Er fühlte nach, ob er das Handy in der Tasche hatte. Dann folgte er den Spuren. Unmittelbar vor dem Hotelvorplatz wurden sie von Hundespuren gekreuzt. Der Hund war auf die Straße gelaufen, nachdem er einen gelben Fleck hinterlassen hatte. Es gab nur wenige nächtliche Wanderer in Sveg. Stefan brauchte nur der einen Spur zu folgen, die gut erkennbar und geradlinig nach Norden führte. Am Möbelgeschäft vorbei, hinauf zum Bahnhof. Er sah sich um. Kein Mensch, kein Schatten, der sich bewegte. Nur die Spuren im Schnee. Bei der Neuen Konditorei war der Mann stehengeblieben und hatte sich umgedreht. Dann war er über die Straße weiter nach Norden gegangen und anschließend nach links zu dem leeren und unbeleuchteten Bahnhofsgebäude abgebogen. Stefan ließ einen Wagen vorüberfahren. Dann ging er weiter.
    Beim Bahnhofsgebäude blieb er stehen und zögerte. Die Spuren gingen weiter, an der Giebelwand vorbei, hinaus zu den Gleisen und dem Bahnsteig. Wenn es stimmte, was er vermutete, verfolgte er den Mann, der Herbert Molin getötet hatte. Nicht nur getötet, sondern gefoltert. Der ihn zu Tode gepeitscht und in einem blutigen Tango umhergeschleift hatte. Zum erstenmal wurde ihm ernsthaft bewußt, daß der Mann ein Irrer sein konnte. Was sie die ganze Zeit als rationales, kaltblütiges und wohlgeplantes Element zu deuten versucht hatten, konnte auch das Gegenteil sein. Der reine Wahnsinn. Er kehrte um, ging zurück, bis er sich unter einer Straßenlaterne befand, und wählte Giuseppes Nummer. Sie war besetzt. Sie werden jetzt bei dem brennenden Haus sein, dachte er. Giuseppe telefoniert und erzählt jemandem von dem Brand. Vielleicht Rundström. Er wartete und behielt dabei das Bahnhofsgebäude im Auge. Dann wählte er die Nummer noch einmal. Nach ein paar Minuten versuchte er es zum drittenmal. Eine Frauenstimme teilte ihm mit, daß es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich sei, die gewünschte Nummer zu erreichen, und bat, es später noch einmal zu versuchen. Er steckte das Handy in die Tasche und versuchte, einen Beschluß zu fassen. Dann folgte er der Straße, die in südlicher Richtung führte, zum Fjällväg hinunter. Als er ein langes Lagergebäude passiert hatte, bog er ab und befand sich zwischen den Eisenbahngleisen. In der Entfernung konnte er das Bahnhofsgebäude erkennen. Er ging weiter durch die Schatten auf der anderen Seite des Eisenbahngeländes. Dann näherte er sich dem Gebäude vorsichtig von der entgegengesetzten Seite. Ein Güterwaggon stand auf einem Abstellgleis. Stefan ging um den Waggon

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