Die Rückkehr des Tanzlehrers
Stuckford nach Kriegsende durchgeführt hatte, verraten, um sich selbst zu entlasten. All dies hat Höllner mir erzählt, und er konnte auch erzählen, daß Stuckford dann und wann nach Buenos Aires kam.«
Stefan hörte, wie Fernando Hereira nach der Flasche griff. Aber er stellte sie wieder hin, ohne einen weiteren Schluck genommen zu haben.
»Als Stuckford das nächstemal nach Buenos Aires kam, traf ich ihn in seinem Hotel. Ich sagte ihm, daß ich der Sohn des ermordeten Tanzlehrers sei. Ungefähr ein Jahr nach unserem Zusammentreffen erhielt ich einen Brief aus England. Darin berichtete Stuckford, der Soldat, der einmal Mattson-Herzen geheißen habe und der meinen Vater ermordete, habe nach dem Krieg seinen Namen geändert, heiße inzwischen Molin und lebe noch. Ich werde diesen Brief nie vergessen. Jetzt wußte ich, wer meinen Vater getötet hatte. Ein Mann, der freundlich lächelte, wenn er zu seinen Tanzstunden kam. Stuckford konnte mir dann mit seinen Kontakten behilflich sein und den Mann bis hier in die Wälder verfolgen.«
Er verstummte. Es gibt keine Fortsetzung, dachte Stefan. Das ist auch nicht nötig. Jetzt habe ich die Geschichte gehört. Vor mir sitzt ein Mann, den ich nicht sehen kann. Er hat seinen Vater gerächt. Wir hatten recht, als wir glaubten, daß die Hintergründe dieses Mordes weit zurückreichen. Bis zu einem Krieg, der vor so vielen Jahren endete.
Stefan dachte auch, daß Fernando Hereira ihm ein Puzzle fertiggestellt hatte. Es lag eine Ironie darin, daß Herbert Molin sein Alter damit verbracht hatte, ebenfalls Puzzles zu legen. Stets in Gesellschaft seiner Furcht.
»Haben Sie verstanden, was ich erzählt habe?«
»Ja.«
»Haben Sie Fragen?«
»Nicht darüber. Aber ich würde gern wissen, warum Sie den Hund geholt haben?«
Der Mann verstand die Frage nicht.
Stefan formulierte sie anders. »Sie haben Molins Hund getötet. Als Abraham Andersson tot war, haben Sie seinen Hund geholt.«
»Ich wollte zeigen, daß etwas nicht so war, wie Sie glaubten. Daß nicht ich es gewesen bin, der den anderen Mann getötet hat.«
»Warum sollten wir das annehmen, wenn Sie den Hund holten?«
Die Antwort erfolgte einfach und überzeugend. »Ich war betrunken, als ich mich dazu entschloß. Eigentlich verstehe ich immer noch nicht, wieso mich niemand entdeckt hat. Ich holte den Hund fort, um Unordnung zu schaffen. Unordnung in Ihren Gedanken. Ich weiß immer noch nicht, ob es mir gelungen ist.«
»Wir fingen an, neue Fragen zu stellen.«
»Dann habe ich erreicht, was ich wollte.«
»Als Sie kamen, haben Sie da in einem Zelt unten am See gewohnt?«
»Ja.«
Stefan merkte, daß die Ungeduld verschwunden war. Hereira war jetzt vollkommen ruhig. Stefan hörte auch kein Fla-schenklirren mehr. Hereira erhob sich. Der Fußboden vibrierte. Er befand sich hinter dem Stuhl, auf dem Stefan saß. Die Angst, die für einen Augenblick nachgelassen hatte, nahm wieder zu. Stefan erinnerte sich daran, wie sich die Hände des Mannes um seinen Hals geschlossen hatten. Jetzt war er gefesselt. Wenn der Mann ihn erwürgen wollte, könnte er keinen Widerstand leisten.
Die Stimme kehrte von links wieder. Der Stuhl knarrte. Stefan suchte weiter in seiner Erinnerung nach dem Raum.
»Ich hatte geglaubt, es würde sterben«, sagte die Stimme. »All das Entsetzliche, das damals geschehen ist. Aber die Gedanken, die in Hitlers krankem Gehirn geboren wurden, sind immer noch lebendig. Sie haben andere Namen, aber es sind die gleichen Gedanken. Die gleiche grauenhafte Betrachtungsweise, der zufolge ganze Völker ausgelöscht werden können, wenn es als notwendig erachtet wird. Über diese ganze neue Technik, die Computer, die internationalen Netzwerke, sind alle diese Gruppen eng miteinander verbunden. Heutzutage findet sich alles in den Computern.«
Stefan hörte zu. Er dachte, daß er fast die gleiche Formulierung aus Veronica Molins Mund gehört hatte. Alles ist in den
Computern.
»Sie zerstören immer noch Leben«, sagte die Stimme. »Sie werden nicht aufhören, ihren Haß gegen Menschen zu nähren, die eine andere Hautfarbe, andere Sitten, andere Götter haben.«
Stefan verstand plötzlich, daß Hereiras Ruhe trügerisch war. Er befand sich dicht an der Grenze eines Zusammenbruchs, der bedeuten konnte, daß er wieder zur Gewalt Zuflucht nehmen würde. Er hat Herbert Molin getötet, dachte Stefan wieder. Er hat versucht, mich zu erwürgen. Er hat mich niedergeschlagen. Und nun sitze ich gefesselt auf einem Stuhl.
Weitere Kostenlose Bücher