Die Rückkehr des Tanzlehrers
und ungekämmt. Er war mager. Die Kleidung, schwarze Hosen und eine blaue Jacke, war verschmutzt. Die Jacke hatte einen Riß am Kragen. An den Füßen trug er Joggingschuhe. Das war also der Mann, der in einem Zelt unten am See gewohnt hatte. Der Herbert Molin mit großer Brutalität getötet und ihn dann in einem blutigen Tango herumgeschleppt hatte. Und es war der Mann, der Stefan zweimal angegriffen hatte. Der ihn einmal fast erwürgt und ihm beim zweitenmal, vor einer Stunde erst, einen kräftigen Schlag in den Nacken versetzt hatte.
Die Uhr hatte zur halben Stunde geschlagen. Halb sechs am Morgen. Stefan war länger ohnmächtig gewesen, als er geglaubt hatte. Auf dem Tisch vor dem Mann stand eine Cognac-flasche, kein Glas.
Der Mann nahm einen Schluck. Dann sah er Stefan an. »Welche Strafe werde ich erhalten?«
»Das kann ich nicht beantworten. Das entscheidet ein Gericht.«
Fernando Hereira schüttelte resigniert den Kopf. »Niemand wird verstehen. Werden in Ihrem Land Menschen zum Tode verurteilt?«
»Nein.«
Fernando Hereira nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche. Mit unsicherer Hand stellte er sie zurück auf den Tisch. Er ist betrunken, dachte Stefan, seine Bewegungen werden unkontrolliert.
»Es gibt eine Person, mit der ich sprechen möchte«, fuhr Fernando Hereira fort. »Ich will Herbert Molins Tochter erklären, warum ich ihren Vater getötet habe. Stuckford hat in seinem Brief von einer Tochter geschrieben. Hat er noch mehr Kinder? Ich will mit der Tochter sprechen. Sie muß jetzt hier sein, wo ihr Vater getötet worden ist.«
»Herbert Molin wird heute beerdigt.«
Fernando Hereira zuckte zusammen. »Heute?«
»Sein Sohn ist gekommen. Die Beerdigung findet heute um elf statt.«
Es wurde still. Fernando Hereira starrte auf seine Hände. »Ich will nur mit ihr sprechen«, sagte er schließlich. »Sie kann es dann anderen erklären, wenn sie will. Ich möchte ihr erzählen, warum ich es getan habe.«
Stefan sah ein, daß er jetzt vielleicht die Möglichkeit gefunden hatte, nach der er suchte. »Veronica Molin wußte nichts davon, daß ihr Vater Nazi war. Sie ist sehr empört, jetzt, wo sie es erfahren hat. Ich glaube, sie wird verstehen, wenn Sie ihr das gleiche erzählen, was Sie mir erzählt haben.«
»Alles, was ich sage, ist die Wahrheit.« Er nahm noch einen Schluck aus der Flasche. »Wenn ich Sie gehen lasse und Sie bitte, mit Veronica Molin Kontakt aufzunehmen, bekomme ich dann die Zeit, die ich brauche, bevor ich gefaßt werde?«
»Woher soll ich wissen, daß Sie Veronica Molin nicht dasselbe antun wie ihrem Vater?«
»Das können Sie nicht wissen. Doch warum sollte ich ihr etwas tun? Sie hat meinen Vater nicht getötet.«
»Aber mich haben Sie überfallen.«
»Das war notwendig, tut mir aber natürlich leid.«
»Und wie haben Sie sich das Ganze gedacht?«
»Ich lassen Sie gehen und bleibe selbst hier. Es ist bald sechs Uhr. Sie sprechen mit Veronica Molin, erzählen, wo ich bin. Wenn sie mich verlassen hat, können Sie und die anderen Polizisten kommen und mich holen. Mir ist klar, daß ich nie wieder nach Hause zurückkehren werde. Ich bleibe hier und sterbe in einem Gefängnis.«
Fernando Hereira verlor sich in seinen Gedanken. Sprach er die Wahrheit oder nicht? Stefan wußte, daß er es nicht als selbstverständlich ansehen konnte.
»Ich kann nicht zulassen, daß Veronica Molin Sie alleine besucht«, sagte Stefan.
»Warum nicht?«
»Sie haben schon gezeigt, daß Sie nicht zögern, Gewalt anzuwenden. Ihr Verlangen ist unrealistisch.«
»Ich muß sie aber allein treffen. Ich werde sie nicht berühren.«
Fernando Hereira schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch.
Stefan fühlte seine Angst wieder wachsen. »Was geschieht, wenn ich mich nicht auf Ihre Forderung einlasse?«
Hereira sah ihn lange an, bevor er antwortete. »Ich bin ein friedlicher Mensch. Dennoch habe ich gegen Mitmenschen Gewalt ausgeübt. Ich weiß nicht, was geschieht. Vielleicht töte ich Sie, vielleicht auch nicht.«
Stefan wußte, daß er Fernando Hereiras Begehren nicht nachkommen konnte. Gleichzeitig sah er ein, daß das Ganze einen höchst unsicheren Ausgang hatte, wenn er Hereira keine akzeptable Lösung präsentierte. »Ich gebe Ihnen die Zeit, die Sie brauchen«, sagte er. »Und Sie können am Telefon mit ihr sprechen.«
Stefan sah, wie es in Hereiras Augen aufblitzte.
»Ich tue schon zuviel«, fuhr Stefan fort. »Ich gebe Ihnen Zeit, und Sie können mit ihr am Telefon sprechen. Sie
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