Die Rückkehr des Tanzlehrers
keinen Grund, ihr gerade das vorzuwerfen.
Er ging durch die Gartenpforte. Alles war sehr still. Ein schwacher Lichtstreifen war am dunklen Himmel über den bewaldeten Höhenzügen im Osten sichtbar geworden. Er klingelte. Fernando Hereira schaute vorsichtig hinter der Gardine an der Scheibe der Haustür hervor. Stefan empfand unmittelbar Erleichterung darüber, daß ihm nichts geschehen war. Als er in Veronica Molins Zimmer gestanden hatte, war er immer noch besorgt gewesen, ihr könnte etwas passieren. Doch als er gesehen hatte, was auf ihrem Bildschirm flimmerte, hatte sich alles verändert, ins Gegenteil verkehrt. Von dem Augenblick an war es Fernando Hereira, um den er sich Sorgen machte. Es machte keinen Unterschied, daß das, was gerade stattfand, eine Begegnung zwischen einer Frau und dem Mann war, der ihren Vater getötet hatte. Fernando Hereira hatte das gleiche Recht wie alle, sich für seine Taten vor einem Gericht verantworten zu können.
Fernando Hereira öffnete die Tür. Seine Augen glänzten. »Sie kommen zu früh«, sagte er ungeduldig.
»Ich kann warten.«
Die Tür zum Wohnzimmer war angelehnt. Stefan konnte sie da drinnen nicht sehen. Einen kurzen Moment erwog er, Fernando Hereira schon jetzt die Wahrheit zu sagen. Aber er entschloß sich zu warten. Er konnte hinter der Tür stehen und lauschen. Er hatte eingesehen, daß Veronica Molin zu allem fähig war. Er mußte ihr Treffen so weit wie möglich in die Länge ziehen, bis Giuseppe und die anderen Polizisten hier wären.
Er nickte zur Toilette hin. »Ich komme gleich«, sagte er. »Wie geht es?«
»Es ist, wie ich gehofft habe«, sagte Hereira mit müder Stimme. »Sie hört zu. Es hat den Anschein, als ob sie verstünde. Doch ob sie mir vergeben wird, kann ich nicht sagen.«
Er kehrte auf nicht ganz sicheren Beinen ins Wohnzimmer zurück. Stefan schloß sich auf der Toilette ein. Noch stand ihm das Schlimmste bevor. Veronica Molins Blick zu begegnen und sie glauben zu lassen, daß er nicht mehr wußte als vor einer guten halben Stunde. Gleichzeitig dachte er, daß sie ihn kaum im Verdacht haben würde, plötzlich etwas zu begreifen, was er bisher nicht begriffen hatte.
Er wählte Giuseppes Nummer. Als er von neuem die Frauenstimme hörte, geriet er fast in Panik. Er betätigte die Spülung und verließ die Toilette. Ging zur Haustür und hustete, während er das Schloß öffnete. Dann wandte er sich dem Wohnzimmer zu.
Veronica Molin saß auf dem Stuhl, auf dem er selbst gefesselt gesessen hatte. Sie sah ihn an. Er nickte aufmunternd. »Ich kann da draußen warten«, sagte er auf Englisch, »wenn Sie noch nicht fertig sind.«
»Ich möchte, daß Sie bleiben«, antwortete sie.
Fernando Hereira nickte. Auch ihm machte es nichts aus, wenn sich Stefan im Raum befand.
Er wählte wie zufällig den Stuhl, der der Tür am nächsten stand. Von seinem Platz aus hatte er auch die Fenster hinter den Rücken der beiden im Blick.
Veronica Molin betrachtete ihn abschätzig. Er bemerkte jetzt, wie sie die ganze Zeit versuchte, direkt durch ihn hindurchzusehen. Er entschloß sich, ihrem Blick standzuhalten, und wiederholte sein stummes Mantra: Ich weiß nichts. Ich weiß nichts.
Die Flasche stand noch auf dem Tisch. Stefan sah, daß He-reira sie zur Hälfte geleert hatte. Aber jetzt hatte er sie zur Seite geschoben und zugeschraubt. Er begann zu sprechen. Über den Mann namens Höllner, den er in einem Restaurant in Buenos Aires getroffen und der ihm durch einen Zufall die Erklärung dafür gegeben hatte, wer seinen Vater getötet hatte. Fernando Hereira erzählte sehr umständlich. Er ließ keine Einzelheit aus, wann und wo er Höllner begegnet war und wie sie schließlich erkannt hatten, daß ihm Höllner, fast wie von einer höheren Macht geschickt, die Informationen geben konnte, die ihm noch fehlten. Stefan dachte, daß es das Beste war, was geschehen konnte, wenn Hereira seine Geschichte in die Länge zog. Er brauchte Giuseppe hier. Er konnte die Situation nicht allein bewältigen.
Dann fuhr er zusammen.
Weder Fernando Hereira noch Veronica Molin schienen etwas gesehen zu haben. Draußen vor dem Fenster, hinter Vero-nica Molin, hatte er ein Gesicht erkannt. Das Gesicht Björn Wigrens. Jetzt kam es wieder. Stefan sah ihn aus den Augenwinkeln. Die Neugier des Mannes kannte keine Grenzen. Er hatte also die Brücke verlassen und es nicht vermocht, seine Neugier zu zähmen.
Das Gesicht tauchte von neuem auf. Björn Wigren schien nicht gemerkt zu
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