Die Rückkehr des Tanzlehrers
haben, daß Stefan ihn entdeckt hatte. Was sieht er, dachte Stefan. Drei Menschen in einem Zimmer, die ein konzentriertes, aber nicht besonders erregtes Gespräch führen. Auf dem Tisch steht eine Flasche Cognac, die er vielleicht vom Fenster aus erkennt. Aber was könnte an dieser Situation gefährlich sein? Nichts. Er fragt sich wahrscheinlich, wer der Mann ist. Und vielleicht hat er Veronica Molin damals nicht gesehen, als sie ihren Besuch bei Elsa Berggren gemacht hat. Er muß glauben, daß dieser Polizeibeamte aus dem Süden, auf den er während seines Morgenspaziergangs gestoßen ist, verrückt ist. Er wird sich auch fragen, warum sie sich in Elsa Berg-grens Haus aufhalten, wenn sie selbst nicht da ist, und wie sie hineingekommen sind.
Stefan konnte seine Wut nur mit größter Mühe kontrollieren. Er bezweifelte, daß Giuseppe oder irgend jemand sonst die Nachricht im Schnee bemerken würde. Es war kein Björn Wigren da, der auf sie wartete. Es war nichts da.
Das Gesicht verschwand wieder. Stefan betete im stillen, daß Björn Wigren trotz allem zur Schneewehe zurückkehren würde. Dann brauchte es noch nicht zu spät zu sein. Aber das Gesicht tauchte erneut auf. Jetzt hatte er das Fenster gewechselt, befand sich hinter Fernando Hereira. Es bestand die Gefahr, daß Veronica Molin ihn entdeckte, wenn sie den Kopf drehte.
Ein Handy klingelte. Stefan glaubte, es wäre seins, aber der Signalton war anders. Veronica Molin griff nach ihrer Handtasche, die sie neben ihren Stuhl gestellt hatte, nahm ein Mobiltelefon heraus und meldete sich. Wer es auch sein mag, der da anruft, dachte Stefan, er verschafft mir mehr Zeit. Und Zeit ist das, was ich am nötigsten brauche. Björn Wigrens Gesicht war verschwunden und kam nicht zurück.
Stefan begann wieder zu hoffen, daß er zur Brücke zurückgegangen war.
Veronica Molin lauschte ins Telefon, ohne etwas zu sagen. Dann schaltete sie es ab und legte es wieder in die Tasche.
Als sie die Hand wieder herausnahm, hielt sie eine Pistole darin.
Sie stand langsam auf und trat ein paar Schritte zur Seite. Von dort hatte sie sowohl Stefan als auch Fernando Hereira im Schußfeld. Stefan hielt den Atem an. Hereira schien zunächst nicht zu verstehen, was sie in der Hand hatte. Als er erkannte, daß es eine Waffe war, wollte er aufstehen, setzte sich aber wieder, als sie die Pistole hob.
Dann sah sie Stefan an. »Das war dumm«, sagte sie. »Von Ihnen und von mir.«
Sie hielt die Waffe jetzt auf Stefan gerichtet. Sie hielt sie mit beiden Händen, und ihre Hände waren ruhig.
»Es war das Mädchen aus der Rezeption im Hotel. Sie hat angerufen, um mir zu sagen, daß Sie den Schlüssel genommen haben und in mein Zimmer gegangen sind. Und ich weiß, daß ich meinen Laptop nicht ausgeschaltet habe.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
Stefan erkannte die Sinnlosigkeit, sich aus der Geschichte herausreden zu wollen, aber er mußte Zeit gewinnen. Aus den Augenwinkeln schaute er wieder zum Fenster hinüber. Björn
Wigren war verschwunden. Er konnte nur hoffen. Diesmal bemerkte sie seinen Blick. Ohne die Waffe zu senken, ging sie zum nächsten Fenster.
Draußen schien niemand zu sein. »Sie sind nicht allein gekommen?« fragte sie.
»Wen hätte ich mitbringen sollen?«
Sie blieb am Fenster stehen. Stefan dachte, daß das Gesicht, das er zuvor so schön gefunden hatte, nun eingefallen und häßlich wirkte.
»Es hat überhaupt keinen Zweck zu lügen«, fuhr sie fort und verließ das Fenster. »Besonders wenn man die Kunst nicht beherrscht.«
Fernando Hereira starrte auf die Waffe in ihrer Hand. »Ich verstehe nicht«, sagte er. »Was ist hier los?«
»Nichts, außer daß Veronica Molin nicht die ist, für die sie sich ausgibt. Vielleicht widmet sie einen Teil ihres Lebens ihrem Beruf als Finanzmaklerin, aber einen anderen Teil widmet sie der Förderung der nationalsozialistischen Ideen in der Welt.«
Fernando Hereira sah ihn fragend an. »Nationalsozialismus«, sagte er. »Ist sie Nazi?«
»Sie ist die Tochter ihres Vaters.«
»Vielleicht ist es am besten, wenn ich das diesem Mann, der meinen Vater getötet hat, selbst erkläre«, unterbrach ihn Vero-nica Molin.
Sie sprach langsam und deutlich, in fehlerfreiem Englisch. Ein Mensch, der nicht daran zweifelte, im Recht zu sein. Was sie sagte, war für Stefan ebenso erschreckend wie deutlich. Herbert Molin war für seine Tochter ein Held gewesen. Ein Mensch, zu dem sie immer aufgesehen und in dessen Fußstapfen zu treten sie
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