Die Rückkehr des Tanzlehrers
»Sie waren ein guter Assistent.«
»Sie hatten es verdient«, erwiderte MacManaman kurz. »Ich brauche keinen Cognac.«
Davenport verließ das Gefängnis zusammen mit Major Stuckford. Er überlegte, ob es möglich wäre, schon früher als geplant nach England zurückzukehren. Er selbst hatte erst am Abend zurückfliegen wollen. Es hätte etwas Unvorhergesehenes eintreten können. Davenport war zwar Englands erfahrenster Henker, aber zwölf Hinrichtungen an einem Tag waren auch für ihn ungewöhnlich. Er entschied sich, den einmal gefaßten Plan nicht mehr zu ändern.
Stuckford nahm ihn mit in den Speisesaal des Hotels und bestellte Mittagessen. Sie saßen in einer abgetrennten Nische. Stuckford hatte eine Kriegsverletzung und zog das linke Bein nach. Davenport empfand Sympathie für ihn, vor allem, weil er keine unnötigen Fragen stellte. Es gab nichts, was Daven-port so unangenehm berührte, als wenn Menschen ihn fragten, wie es gewesen sei, diesen oder jenen Verbrecher hinzurichten, der durch das, was die Zeitungen geschrieben hatten, bekannt geworden war.
Sie aßen und wechselten nur ein paar allgemeine Phrasen über das Wetter und ob man in England vielleicht mit einer Extrazuteilung von Tee oder Tabak zum bevorstehenden Weihnachtsfest rechnen konnte.
Erst hinterher, als sie Tee tranken, kommentierte Stuckford das Geschehen vom Vormittag. »Eins stimmt mich bedenklich«, sagte er. »Daß die Menschen vergessen, daß es ebensogut umgekehrt hätte sein können.«
Davenport war sich nicht sicher, ob er verstanden hatte, was Stuckford eigentlich meinte, aber er brauchte nicht zu fragen.
Stuckford erklärte es. »An Ihrer Stelle könnte auch ein deutscher Henker nach England fahren, um englische Kriegsverbrecher hinzurichten. Junge englische Mädchen, die in einem Konzentrationslager Menschen zu Tode gepeitscht hätten. Das Böse hätte uns ebensogut treffen können, wie es die Deutschen in Form von Hitler und dem Nationalsozialismus getroffen hat.«
Davenport sagte nichts. Er wartete auf die Fortsetzung.
»Kein Volk ist von Natur aus böse. Diesmal waren die Nazis eben Deutsche. Aber niemand kann mir erzählen, daß das, was hierzulande geschehen ist, nicht ebensogut in England hätte geschehen können. Oder in Frankreich. Oder in den USA.«
»Ich verstehe Ihren Gedankengang«, erwiderte Davenport. »Aber ob Sie recht haben oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen.«
Stuckford füllte ihre Teller noch einmal auf. »Wir richten die schlimmsten Verbrecher hin«, sagte er dann. »Die größten Kriegsverbrecher. Aber wir wissen auch, daß viele von ihnen davonkommen werden. Wie zum Beispiel Josef Lehmanns Bruder.«
Lehmann war der letzte gewesen, den Davenport an diesem Vormittag gehenkt hatte. Ein kleiner Mann, der vollkommen ruhig, beinah abwesend, dem Tod entgegengesehen hatte.
»Er hat einen äußerst brutalen Bruder«, fuhr Stuckford fort. »Aber dem ist es gelungen, unterzutauchen. Vielleicht hat er es geschafft, sich einer der nationalsozialistischen Seilschaften zu bedienen. Er kann sich mittlerweile in Argentinien oder Südafrika aufhalten, und da bekommen wir ihn nie zu fassen.«
Sie schwiegen. Draußen regnete es.
»Waldemar Lehmann ist ein unfaßbar sadistischer Mensch«, nahm Stuckford den Faden wieder auf. »Er war nicht nur den Gefangenen gegenüber vollkommen unbarmherzig, er fand auch ein mörderisches Vergnügen daran, seine Untergebenen in der Kunst, Menschen zu quälen, zu unterrichten. Ihn sollten wir genauso hängen wie seinen Bruder. Aber wir haben ihn nicht gefunden. Noch nicht.«
Um fünf Uhr kehrte Davenport zum Flugplatz zurück. Obwohl er einen dicken Wintermantel trug, fror er. Der Pilot stand neben der Maschine und erwartete ihn. Davenport fragte sich, was er wohl dachte. Dann setzte er sich in der kalten
Flugzeugkabine auf einen Stuhl und schlug den Mantelkragen
hoch.
Garbett ließ die Motoren an. Die Maschine hob ab und verschwand in den Wolken.
Davenport hatte seinen Auftrag ausgeführt. Es hatte keine Probleme gegeben. Er galt nicht umsonst als Englands geschicktester Henker.
Das Flugzeug stampfte und krängte in den Luftlöchern. Davenport dachte an das, was Stuckford über diejenigen gesagt hatte, die davonkamen. Und er dachte an Lehmann, dem es ein Vergnügen gewesen war, Menschen in der Kunst zu unterweisen, anderen Menschen gegenüber immer grauenhaftere Arten von Brutalität anzuwenden.
Davenport zog den Mantel enger um sich. Die Luftlöcher lagen jetzt
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