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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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schönes Haus«, meinte er und zeigte auf das weiße Haus, an dem er gerade vorbeigegangen war.
    Der Mann nickte. »Elsas Haus ist immer gut in Schuß. Der Garten auch. Kennen Sie sie?«
    »Nein.«
    Der Mann sah ihn an, als warte er auf eine Fortsetzung. »Ich heiße Björn Wigren«, sagte er dann. »Die längste Reise, die ich in meinem Leben unternommen habe, war einmal nach Hede. Heutzutage reisen alle Menschen, aber ich nicht. Als Kind habe ich auf der anderen Seite des Flusses gewohnt. Doch dann bin ich hierhergezogen. Obwohl man wieder zurückziehen muß, über den Fluß. Auf den Friedhof.«
    »Ich heiße Stefan. Stefan Lindman.«
    »Und Sie sind hier auf Besuch?«
    »Ja.«
    »Haben Sie Verwandte hier?«
    »Nein. Eigentlich bin ich nur auf der Durchreise.«
    »Und jetzt machen Sie einen Spaziergang?«
    »Ja.«
    Das Gespräch verebbte. Wigrens Neugier war freundlich, ganz und gar nicht aufdringlich. Stefan versuchte sich etwas einfallen zu lassen, um das Gespräch auf Elsa Berggren zu bringen.
    »Ich wohne jetzt seit 1959 in meinem Haus«, sagte der Mann plötzlich. »Aber ich habe es noch nie erlebt, daß ein Fremder hier einen Spaziergang gemacht hat. Zumindest nicht im Oktober.«
    »Einmal ist immer das erste Mal.«
    »Sie können Kaffee bekommen«, bot Wigren an. »Wenn Sie wollen. Meine Frau ist tot, und die Kinder wohnen woanders.«
    »Ja, ein Kaffee könnte jetzt guttun.«
    Sie gingen durch die Gartenpforte. Hatte Björn Wigren vielleicht draußen auf der Straße gestanden, um jemanden hereinzulocken, mit dem er seine Einsamkeit teilen konnte?
    Das Haus, das sie betraten, war zu ebener Erde gebaut worden. Im Flur hing die Zigeunerfrau mit der entblößten Brust. Im Wohnzimmer der alte Fischer. Es gab auch ein paar Jagdtrophäen, unter anderem ein Elchgeweih. Stefan zählte vierzehn Enden und fragte sich, ob das viel war oder wenig. Auf dem Küchentisch standen eine Thermoskanne und ein Teller mit Hefegebäck, das mit einem Handtuch abgedeckt war.
    Wigren stellte eine zweite Tasse auf den Tisch und bat Stefan, sich zu setzen. »Wir müssen nicht reden«, sagte er überraschend. »Man kann auch mit einem Unbekannten Kaffee trinken und schweigen.«
    Sie tranken Kaffee und aßen jeder eine Zimtschnecke. Die Uhr an der Küchenwand schlug die Viertelstunde. Stefan fragte sich im stillen, was die Menschen zusammen gemacht hatten, bevor der Kaffee ins Land gekommen war.
    »Sie sind also Rentner?« fragte Stefan und merkte selbst, wie einfallslos das klang.
    »Ich habe dreißig Jahre lang im Wald gearbeitet«, antwortete Björn Wigren. »Manchmal denke ich, daß es eine vollkommen unbegreifliche Schinderei gewesen ist. Die Holzfäller waren die Sklaven der Waldgesellschaften. Ich glaube, die meisten Menschen verstehen gar nicht, was für ein Geschenk des Himmels die Erfindung der Motorsäge ist. Dann habe ich es im Rücken bekommen und aufgehört. In den letzten Jahren habe ich beim Straßenbauamt gearbeitet. Ob ich da irgendwie nützlich gewesen bin, kann ich nicht sagen. Meistens habe ich an einer Maschine gestanden und Schlittschuhe für Schulkinder geschliffen. Aber eine sinnvolle Sache habe ich in diesen Jahren immerhin getan. Ich habe Englisch gelernt. Habe abends dagesessen und gepaukt. Mit Büchern und Kassetten. Oft bin ich nahe daran gewesen, aufzugeben. Aber ich war fest entschlossen, es zu schaffen. Dann bin ich in Pension gegangen, und zwei Tage nach meinem letzten Arbeitstag ist meine Frau gestorben. Als ich am Morgen aufgewacht bin, war sie schon kalt. Das ist jetzt siebzehn Jahre her. Ich bin im August zweiundachtzig geworden.«
    Stefan runzelte die Stirn. Es fiel ihm schwer zu glauben, daß Björn Wigren über achtzig sein sollte.
    »Ich lüge nicht«, versicherte Wigren, der seine Verwunderung offenbar bemerkt hatte. »Ich bin zweiundachtzig Jahre alt und bei so guter Gesundheit, daß ich damit rechnen kann, neunzig zu werden. Oder noch älter. Wenn das denn zu irgend etwas nutze ist.«
    »Ich habe Krebs«, sagte Stefan. »Ich weiß nicht einmal, ob ich vierzig werde.«
    Die Worte kamen aus dem Nichts. Wigren hob die Augenbrauen. »Es kommt mir ungewöhnlich vor, daß ein Mensch einem anderen Menschen, den er gar nicht kennt, sagt, daß er Krebs hat.«
    »Ich weiß auch nicht, warum ich es gesagt habe.«
    Björn Wigren schob den Teller mit Gebäck zu Stefan hinüber.
    »Sie haben es wohl gesagt, weil Sie es sagen mußten. Wenn Sie reden wollen, dann höre ich zu.«
    »Lieber nicht.«
    »Dann tun

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