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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hatte. Irgendwo mußte es auch eine Bibliothek geben. Er würde sich hineinsetzen und alles lesen, was er über Strahlenbehandlung und ihre Auswirkungen finden konnte. Die Ärztin hatte es ihm zwar erklärt, aber er hatte das Gefühl, alles wieder vergessen zu haben. Hatte er vielleicht überhaupt nicht zugehört? Oder sich nicht klarmachen können, was es bedeutete?
    Er zog sich die Schuhe wieder an und beschloß, das Hemd zu wechseln. Er klappte den Deckel des Koffers zurück, der auf einem wackeligen kleinen Tisch neben der Badezimmertür lag. Als er die Hand nach dem Hemd ausstreckte, das zusammengefaltet ganz oben lag, hielt er plötzlich mitten in der Bewegung inne. Zuerst wußte er nicht genau, was ihn gestoppt hatte, aber etwas war anders. Er dachte, er bilde es sich nur ein, wußte aber gleichzeitig, daß es nicht stimmte. Von seiner Mutter hatte er gelernt, wie man einen Koffer packte. Er konnte seine Hemden so zusammenlegen, daß sie nicht zerknitterten, und er hatte es zu einer pedantischen Gewohnheit werden lassen, immer genau zu überlegen, wie er packen mußte.
    Er dachte noch einmal, daß er sich etwas einbildete. Dann erkannte er, daß jemand den Inhalt seines Koffers durcheinandergebracht hatte. Nicht viel, aber genug, daß er es merkte.
    Langsam ging er den Inhalt durch. Es fehlte nichts.
    Doch er war sicher. Während er in Östersund gewesen war, hatte jemand seinen Koffer durchsucht.
    Es konnte ein neugieriges und diebisches Zimmermädchen gewesen sein.
    Aber daran glaubte er nicht.
    Jemand war in seinem Zimmer gewesen und hatte seinen Koffer durchsucht.
    Wütend ging Stefan hinunter in die Rezeption. Aber als ihn das Mädchen, das jetzt zurückgekommen war, anlächelte, wurde er unsicher. Es mußte das Zimmermädchen gewesen sein. Sie war versehentlich an den Koffer gestoßen, so daß er auf den Boden gefallen war. Alles andere war Einbildung. Es war ja auch nichts weggekommen. Er nickte nur, legte den Schlüssel auf den Tresen und ging hinaus. Auf der Treppe blieb er stehen und fragte sich, was er jetzt tun sollte. Es war, als habe er die Fähigkeit verloren, auch nur die einfachsten Entscheidungen zu treffen. Er schob die Zunge an den Zähnen entlang. Der Knoten war noch da. Ich habe den Tod im Mund, dachte er. Wenn ich das hier überlebe, verspreche ich, immer meine Zunge zu hüten. Er schüttelte den Kopf über seine idiotischen Gedanken und beschloß gleichzeitig, nachzusehen, wo Elsa Berggren wohnte. Zwar hatte er Giuseppe versprochen, nicht mit ihr zu reden, aber er konnte dennoch eine Weile damit verbringen, ihre Wohnung ausfindig zu machen. Er ging zurück in die Rezeption. Das Mädchen hinter dem Tresen telefonierte, und er studierte einen Stadtplan, der an der Wand hing. Er fand die Straße auf der anderen Seite des Flusses, in einem Ortsteil namens Ulvkälla. Es gab eine zweite Brücke, eine alte Eisenbahnbrücke, die er benutzen konnte, um hinüberzugelangen.
    Er verließ das Hotel. Eine schwere Wolkendecke hing über Sveg. Er überquerte die Straße, blieb vor dem Fenster der Lokalzeitung stehen und las, was dort über den Mord an Herbert Molin stand. Nachdem er hundert Meter dem Fjällväg gefolgt war, kam er zu einem Eisenbahnübergang und wandte sich nach links. Die Brücke vor ihm hatte eingespannte Gewölbe. Er blieb in der Mitte stehen und sah in das braune Wasser hinunter. Dann ging er weiter. Elsa Berggrens Haus lag auf der linken Seite. Es war ein weißes Holzhaus in einem gepflegten Garten. Das Tor der Garage neben dem Haus war offen, aber es stand kein Wagen darin. Im Vorübergehen betrachtete er das Haus und meinte eine schwache Bewegung an einer Gardine im Untergeschoß wahrzunehmen. Er ging weiter. Ein Mann stand auf der Straße und starrte zum Himmel hinauf.
    Er wandte den Kopf und nickte Stefan zu. »Gibt es Schnee?« fragte er.
    Stefan mochte den Dialekt. Er hatte etwas Freundliches, fast Unschuldiges an sich.
    »Vielleicht«, antwortete Stefan. »Aber ist Oktober nicht ein bißchen früh?«
    Der Mann schüttelte den Kopf. »Hier kann es schon im September schneien«, sagte er. »Oder im Juni.«
    Der Mann war alt. Sein Gesicht war zerfurcht, und er war schlecht rasiert.
    »Suchen Sie jemanden?« fragte er, ohne seine Neugier zu verbergen.
    »Ich bin nur auf Besuch hier und mache einen Spaziergang.«
    Stefan entschied sich rasch. Er hatte Giuseppe versprochen, nicht mit Elsa Berggren zu reden, aber hatte nicht versprochen, auch nicht über sie zu reden.
    »Ein

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