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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Werkstatt zu kommen, in der er Möbel restaurierte. Höllner hatte angenommen, und dann war es ihm zur Gewohnheit geworden, Aaron vormittags zu besuchen. Er war nie müde geworden zuzusehen, wie Aaron geschickt einen alten Stuhl neu bezog, den irgendein reicher Repräsentant der argentinischen Oberklasse ihm gebracht hatte. Dann und wann waren sie in den Hof gegangen und hatten Kaffee getrunken und geraucht.
    Wie ältere Menschen es zu tun pflegen, hatten sie ihr Leben verglichen. Bei einer dieser Gelegenheiten hatte Höllner in einem Nebensatz gefragt, ob Aaron möglicherweise mit einem gewissen Jakob Silberstein in Berlin verwandt wäre, der den Judendeportationen der dreißiger Jahre und anschließend jeder Form von Verfolgung während der Kriegsjahre entkommen war, weil er der einzige war, der Hermann Göring eine zufriedenstellende Massage gegen die ständigen Rückenschmerzen hatte geben können. Es war, als habe ihn die Geschichte mit einem einzigen Schlag eingeholt. Jakob Silberstein sei sein Onkel gewesen, hatte er geantwortet. Durch den Schutz, den Jakob genossen hatte, war es auch seinem Bruder Lukas, Aarons Vater, gelungen, den Deportationen zu entgehen. Höllner hatte ihn fragend angeschaut und dann erklärt, er habe Jakob Silberstein selbst einmal getroffen, weil auch sein eigener Vater von ihm massiert worden sei.
    An diesem Tag hatte Aaron seine Werkstatt geschlossen und ein Schild mit der Mitteilung an die Tür gehängt, daß er nicht vor dem nächsten Tag zurück wäre. Dann war er mit Höllner in dessen Wohnung gegangen, die in einem heruntergekommenen Mietshaus in der Nähe des Hafens lag. Eine kleine Wohnung, die zum Hinterhof hinausging. Aaron konnte sich an den starken Lavendelduft in der Wohnung erinnern, und an all die schlechten Aquarelle der Pampas, die Höllners Frau gemalt hatte. Sie saßen bis tief in die Nacht da und sprachen über das sonderbare Ereignis, daß sich ihre Lebenswege in einer so weit zurückliegenden Zeit in Berlin gekreuzt hatten. Höllner war drei Jahre jünger als Aaron, 1945 war er erst neun gewesen. Aber er konnte sich sehr wohl an den Mann erinnern, der einmal in der Woche mit dem Wagen geholt wurde, um seinen Vater zu massieren. Er erinnerte sich auch daran, daß etwas Sonderbares darin lag, etwas Merkwürdiges und vielleicht Gefährliches, daß ein Jude, dessen Namen er damals nicht wußte, immer noch in Berlin war. Daß es ein Mann gewesen sein mußte, der unter dem Schutz Hermann Görings gelebt hatte, des gefürchteten Reichsmarschalls. Als er seine Erinnerungsbilder von Jakob Silbersteins Aussehen beschrieben hatte und seine Art, sich zu bewegen, wußte Aaron, daß kein Mißverständnis vorliegen konnte.
    Höllner hatte viel von einem Ohr geredet, Jakob Silbersteins linkem Ohr, das entstellt war, seit er sich als Kind an einer kaputten Fensterscheibe geschnitten hatte. Aaron merkte, daß er zu schwitzen begann, als Höllner das Ohr beschrieb, an das auch er sich gut erinnerte. Es bestand nicht der geringste Zweifel, und Aaron war so gerührt, daß er Höllner umarmte. Er erinnerte sich an alles, als habe es sich erst gestern ereignet.
    Aaron schaute auf die Uhr. Viertel nach zehn. In Gedanken wechselte er die Identität. Jetzt war er Fernando Hereira. Als Hereira war er in Schweden eingereist. Er war argentinischer Staatsangehöriger, der in Schweden Urlaub machte. Sonst nichts. Auf gar keinen Fall Aaron Silberstein, der im Frühjahr 1953 nach Buenos Aires gekommen und seitdem nicht mehr nach Europa zurückgekehrt war.
    Er zog sich an, baute das Zelt ab und fuhr zurück zur Hauptstraße. Kurz vor Varberg hielt er an und aß zu Mittag. Seine Kopfschmerzen waren verschwunden. In zwei Stunden wäre er in Malmö. Die Mietwagenfirma lag neben dem Bahnhof. Dort hatte er vor vierzig Tagen das Auto abgeholt, und dorthin würde er es auch zurückbringen. In der Nähe würde er sicher ein Hotel finden. Außerdem mußte er Zelt und Schlafsack loswerden. Den Campingkocher, die Töpfe und Teller hatte er schon irgendwo in Dalarna auf einem Rastplatz in einen Mülleimer geworfen. Das Besteck hatte er in einem Fluß entsorgt, an dem er entlanggefahren war. Nun würde er nach einem geeigneten Ort Ausschau halten, um den Rest loszuwerden, bevor er nach Malmö kam. Ein Stück nördlich von Helsingborg fand er, wonach er gesucht hatte.
    Einen Container hinter einer Tankstelle, an der er zum letztenmal tankte. Er vergrub das Zelt und den Schlafsack unter leeren Kartons und

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