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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Plastikbehältern. Dann nahm er eine Plastiktüte, die ganz oben im Rucksack gelegen hatte. Darin befand sich ein blutiges Hemd. Obwohl er einen Overall getragen hatte, war es Herbert Molin gelungen, sein Hemd zu verschmieren. Wie das passieren konnte, war ihm immer noch ein Rätsel. Ebenso wie die Frage, warum er nicht auch das Hemd verbrannt hatte, als er den Overall vernichtete.
    Doch im Innersten wußte er die Antwort. Er hatte das Hemd behalten, um es ansehen und sich selbst davon überzeugen zu können, daß das Geschehene kein Traum war. Jetzt brauchte er es nicht mehr. Die Zeit für Erinnerungen war vorbei. Er vergrub die Plastiktüte so tief wie möglich im Container. Gleichzeitig tauchte der Gedanke an Höllner wieder auf. Den bleichen und vom Tod gezeichneten Mann, den er im La Cabana getroffen hatte. Ohne ihn würde er jetzt nicht hier stehen und die letzten physischen Spuren einer Reise nach Schweden vernichten, auf der er einen Menschen ums Leben gebracht und einen letzten grausigen Gruß an die grauenhafte Vergangenheit geschickt hatte, indem er eine Reihe von Blutspuren auf einem Holzfußboden hinter sich zurückließ.
    Von jetzt an wären die Spuren nur noch in seinem Herzen.
    Er ging zum Wagen zurück und setzte sich hinter das Lenkrad, ohne jedoch den Motor anzulassen. Eine Frage ließ ihm keine Ruhe. Sie nagte seit jener Nacht in seinem Bewußtsein, als er Herbert Molins Haus angegriffen hatte. Es drehte sich um eine unerwartete Entdeckung, die ihn selbst betraf.
    Auf dem Weg nach Schweden hatte er Angst gehabt. Während der ganzen langen Flugreise hatte er sich gefragt, wie er es schaffen würde, den Auftrag auszuführen, den er sich selbst gestellt hatte. Nie zuvor in seinem Leben hatte er auch nur annäherungsweise einem anderen Menschen Schaden zugefügt. Er haßte Gewalt. Der Gedanke, geschlagen zu werden, hatte ihn erschreckt. Und doch war er unterwegs zu einem anderen Kontinent, um vorsätzlich einen Menschen zu töten. Einen Mann, dem er sechs- oder siebenmal begegnet war, als er zwölf Jahre alt gewesen war.
    Doch dann hatte sich gezeigt, daß es überhaupt nicht schwer war.
    Das war es, was er nicht verstehen konnte. Es erschreckte ihn und zwang ihn dazu, sich in all das zurückzuversetzen, was vor über fünfzig Jahren geschehen war. Die eigentliche Entstehung der Tat, die er jetzt ausgeführt hatte.
    Warum war es so leicht gewesen? Es sollte das Schwerste sein, dessen ein Mensch überhaupt fähig war.
    Der Gedanke bedrückte ihn.
    Er wollte, daß es schwer war, Herbert Molin ums Leben zu bringen. Er hatte geglaubt, daß er im entscheidenden Augenblick schwanken und hinterher von großem Entsetzen gepackt werden würde. Aber sein Gewissen hatte geschwiegen.
    Er saß lange im Wagen und versuchte zu verstehen. Schließlich, als sich sein Bedürfnis nach Schnaps allzu stark in Erinnerung brachte, ließ er den Motor an und verließ die Tankstelle.
    Zur Rechten konnte er nach einer Weile eine große Brücke sehen, die sich über das Wasser zwischen Schweden und Dänemark erstreckte. Er fuhr nach Malmö hinein und fand ohne Schwierigkeiten zu der Mietwagenfirma. Als er die Rechnung bezahlte, wunderte er sich, wie hoch sie war. Doch er sagte nichts. Er bezahlte mit Bargeld, obwohl er bei der Anmietung des Wagens seine Kreditkartennummer angegeben hatte. Er hoffte, daß die Unterlagen, die festhielten, daß Fernando He-reira in Schweden einen Wagen gemietet hatte, nun tief in irgendeinem Archiv verschwinden würden.
    Als er wieder auf die Straße trat, wehte ein kalter Wind vom Meer herüber, aber es regnete nicht mehr. Er ging ins Stadtzentrum und blieb vor einem Hotel in einer Seitenstraße stehen, die von dem ersten Platz wegführte, auf den er gekommen war. Sobald er ins Zimmer gekommen war, zog er sich aus und stellte sich unter die Dusche. Während der Zeit im Wald hatte er sich einmal in der Woche gezwungen, in den eiskalten See zu steigen, um sich zu waschen. Aber erst jetzt, als er in Malmö unter der Dusche stand, war es ihm, als befreie er sich von dem Schmutz, der sich an ihm festgesetzt hatte.
    Hinterher saß er in ein Badetuch gewickelt auf dem Bett und öffnete die letzte Flasche Cognac, die er noch im Rucksack hatte. Das war die größte Befreiung. Er setzte die Flasche an den Mund, nahm drei große Schlucke und spürte, wie die Wärme sich im Körper ausbreitete. Heute abend brauchte er sich keine anderen Grenzen zu setzen, als daß er es am nächsten Tag zum Flugplatz schaffen

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