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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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hast gesagt, Du hättest das gleiche getan, wenn Du jünger wärst und nicht den Schaden im Bein hättest. Jetzt muß ich schließen, aber nun wißt Ihr, daß ich noch am Leben bin und weiterkämpfe. Oft träume ich von Kalmar. Wie geht es Karin und Nils? Wie geht es Tante Annas Rosenzucht? Ich denke in einsamen Stunden über vieles nach, aber sie sind nicht sehr häufig.
    Euer Sohn
    August Mattson-Herzen
    Inzwischen zum Unterscharführer befördert
    Herbert Molins Motiv wurde jetzt immer klarer. Er war von seinen Eltern darin bestärkt worden, für Hitler gegen den Bolschewismus zu kämpfen. Als er sich nach Norwegen begeben hatte, war er kein Abenteurer gewesen. Er hatte sich selbst einen Auftrag erteilt. Gegen Ende des Jahres 1944, vielleicht im Zusammenhang mit seiner Verwundung, wird er befördert. Was war ein Unterscharführer? Was war die schwedische Entsprechung? Gab es überhaupt eine Entsprechung?
    Stefan las weiter. Herbert Molin schrieb seine Eintragungen seltener und kürzer. Gegen Kriegsende ist er noch in Deutschland. In der Endphase des Krieges, als die Straßenkämpfe wüten, befindet er sich in Berlin. Er erzählt, wie er zum erstenmal einen russischen Panzer aus nächster Nähe sieht. Er notiert, daß er bei verschiedenen Gelegenheiten nahe daran ist, in »die Klauen der Russen zu fallen, und dann gnade mir Gott«. Es kommen keine schwedischen Namen mehr vor. Auch keine norwegischen oder dänischen. Er ist jetzt der einzige Schwede unter deutschen Kameraden. Die letzte Tagebucheintragung stammt vom 30. April.
    »30. April. Ich kämpfe jetzt darum, lebend aus dieser Hölle herauszukommen. Der Krieg ist verloren. Habe meine Uniform gegen Kleider getauscht, die ich einem toten deutschen Zivilisten ausgezogen habe. Es ist das gleiche, wie zu desertieren. Aber jetzt befindet sich sowieso alles in Auflösung. Ich werde versuchen, heute nacht über eine Brücke zu kommen. Dann muß ich sehen, wie es weitergeht.«
    Damit endet das Kriegstagebuch. Was danach passiert, bleibt unklar. Aber Herbert Molin hat überlebt, und es ist ihm gelungen, nach Schweden zurückzukehren. Erst ein Jahr später nimmt er sein Tagebuch wieder hervor. Da hält er sich in Kalmar auf. Seine Mutter ist am 8. April 1946 gestorben. Am Tag ihres Begräbnisses schreibt er: »Ich werde Mutter vermissen. Sie war ein guter Mensch. Das Begräbnis schön. Vater kämpfte mit den Tränen, aber hielt sich gut. Denke ständig an den Krieg. Die Granaten heulen in meinen Ohren. Auch wenn ich in der Jolle sitze und im Kalmarsund segle.«
    Stefan las weiter. Die Eintragungen wurden immer seltener, immer kürzer. Herbert Molin schreibt, daß er heiratet, daß er Kinder bekommt. Aber nicht, daß er den Namen wechselt. Das Musikgeschäft in Stockholm wird nicht erwähnt. Eines Tages, im Juli 1955, beginnt er, anscheinend ganz unmotiviert, ein Gedicht zu schreiben. Er streicht die Worte durch, jedoch nicht so gut, daß man sie nicht mehr lesen könnte.
    Morgensonn' über dem Kalmarsund
    Ich höre die Vögel zwitschern
    Es singt ein Vogel im grünen Grund
    Vielleicht hat er kein Wort gefunden, das sich auf zwitschern reimt, dachte Stefan. »Glitzern« hätte in etwa gepaßt. Er nahm einen Kugelschreiber aus der Tasche und schrieb auf einen Notizblock, der auf der Spülbank lag, »während die Wellen glitzern«. Es wäre ein sehr schlechtes Gedicht geworden. Herbert Molin hatte vielleicht genug Verstand, seine poetische Begrenzung zu erkennen.
    Stefan las weiter. Herbert Molin zieht nach Alingsas, dann nach Boras. Ungefähr zehn Tage in Schottland geben ihm Anlaß zu einer unerwarteten Schreibfreude. Um etwas Vergleichbares zu finden, muß Stefan zu der ersten Zeit in Deutschland zurückgehen, als Molins Optimismus noch ungebrochen ist.
    Nach der Reise nach Schottland geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Herbert Molin greift selten zur Feder. Er notiert lediglich einzelne Ereignisse, ohne irgendwelche persönlichen Kommentare anzufügen.
    Stefan verschärfte seine Aufmerksamkeit, als er ans Ende des Tagebuches kam. Davor hat Herbert Molin noch seinen letzten Arbeitstag im Polizeipräsidium erwähnt und seinen Umzug nach Härjedalen.
    Eine Notiz weckte Stefans Neugier.
    »12. März 1993. Gratulationskarte vom alten Wetterstedt, dem Porträtmaler, zu meinem Geburtstag.«
    Am 2. Mai 1999 macht er die letzte Eintragung.
    »2. Mai 1999. Plus sieben Grad.
    Mein Puzzlemeister Castro in Barcelona ist tot. Brief von seiner Frau. Ich verstehe jetzt, daß er es

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