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Die Rückkehr des Tanzlehrers

Die Rückkehr des Tanzlehrers

Titel: Die Rückkehr des Tanzlehrers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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in den letzten Jahren sehr schwer hatte. Eine unheilbare Nierenkrankheit.«
    Das ist alles. Das Tagebuch ist bei weitem nicht vollgeschrieben. Das Buch, das Herbert Molin in einem Buch- und Papiergeschäft in Oslo im Juni 1942 gekauft hat, begleitete ihn durch die Jahre, blieb aber ein Fragment. Falls ein Tagebuch denn jemals abgeschlossen werden kann. Als er es zu schreiben beginnt, ist er ein junger Mann, überzeugter Nazi, auf dem Weg von Norwegen nach Deutschland und in den Krieg. Er ißt Eis und wird verlegen, wenn junge norwegische Mädchen ihm in die Augen blicken. Siebenundfünfzig Jahre später schreibt er von einem Puzzlemeister in Barcelona, der gestorben ist. Ein halbes Jahr später ist er selbst tot.
    Stefan klappte das Buch zu. Draußen vor dem zerstörten Fenster war es jetzt fast ganz dunkel geworden. Liegt die Lösung im Tagebuch, oder liegt sie außerhalb, fragte er sich. Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht, was er ausgelassen hat, nur, was er geschrieben hat. Aber ich weiß jetzt etwas über Herbert Molin, was ich vorher nicht gewußt habe. Er ist Nazi gewesen. Er hat im Zweiten Weltkrieg auf der Seite Hitlers gekämpft. Außerdem hat er eine Reise nach Schottland gemacht und viele und lange Spaziergänge mit jemandem unternommen, den er »M« nennt.
    Stefan packte die Briefe, die Fotos und das Tagebuch wieder in den Regenmantel. Er verließ das Haus auf dem gleichen Weg, auf dem er gekommen war. Durchs Fenster. Gerade als er seine Wagentür öffnen wollte, blieb er stehen. Plötzlich hatte ihn ein vages Gefühl von Trauer über Herbert Molins Leben befallen. Aber er dachte auch, daß die Trauer mit seinem eigenen Leben zusammenhing. Er war siebenunddreißig Jahre alt, kinderlos, und er trug eine Krankheit in sich, die ihn, noch bevor er die Vierzig erreicht hatte, ins Grab bringen konnte.
    Er fuhr zurück nach Sveg. Es waren nur wenige Autos auf der Straße. Kurz hinter Linsell wurde er von einem Polizeiwagen überholt, der ebenfalls in Richtung Sveg fuhr. Dann von einem weiteren. Die Ereignisse der vergangenen Nacht kamen ihm merkwürdig entlegen und unwirklich vor. Dennoch war es weniger als vierundzwanzig Stunden her, seit er die grauenhafte Entdeckung gemacht hatte. Herbert Molin hatte Abraham Andersson in seinem Tagebuch nicht erwähnt. Auch Elsa Berggren nicht, und seine beiden Frauen und die Kinder nur kurz und sachlich. Ohne jeden persönlichen Kommentar.
    Als er ins Hotel kam, war die Rezeption verlassen. Er beugte sich über die Theke und nahm seinen Schlüssel. In seinem Zimmer untersuchte er als erstes seinen Koffer. Niemand hatte ihn angerührt. Er begann mehr und mehr zu glauben, daß er sich etwas eingebildet hatte.
    Kurz nach sieben ging er hinunter in den Speisesaal. Giuseppe hatte noch nicht angerufen. Das Mädchen, das durch die Schwingtür kam, lächelte, als sie an seinen Tisch trat.
    »Ich habe gesehen, daß Sie den Schlüssel genommen haben«, sagte sie.
    Dann wurde sie plötzlich ernst. »Ich habe gehört, daß noch etwas passiert ist«, fuhr sie fort. »Daß wieder ein alter Mann ermordet worden ist. Draußen in Glöte.«
    Stefan nickte.
    »Das ist ja schrecklich. Was geht hier eigentlich vor?« Sie schüttelte resigniert den Kopf, wartete nicht auf eine Antwort und reichte ihm die Speisekarte. »Sie ist neu«, sagte sie, »aber die Kalbskoteletts kann ich nicht empfehlen.«
    Stefan wählte Elchfilet mit Sauce bearnaise und Salzkartoffeln. Er war gerade fertig, als das Mädchen aus der Küche kam und sagte, er werde am Telefon verlangt. Er ging die Treppe zur Rezeption hinauf.
    Es war Giuseppe. »Ich bleibe über Nacht. Ich wohne im Hotel.«
    »Wie geht es?«
    »Wir haben nichts Greifbares, woran wir uns halten könnten.«
    »Und die Hunde?«
    »Finden nichts. Ich rechne damit, in ungefähr einer Stunde dazusein. Leistest du mir beim Essen Gesellschaft?«
    Stefan versprach es.
    Etwas kann ich ihm trotzdem geben, dachte er, als das Gespräch beendet war. Welches Verhältnis Herbert Molin und Abraham Andersson zueinander hatten, kann ich nicht sagen. Aber ich kann Giuseppe immerhin eine Tür auf stoßen.
    Bei Elsa Berggren hängt eine Naziuniform im hintersten Winkel des Kleiderschranks.
    Und Herbert Molin hat vor der Umwelt ein Zeugnis über seine Vergangenheit sorgfältig verborgen.
    Es besteht die Möglichkeit, dachte Stefan, daß die Uniform
    in Elsa Berggrens Schrank Herbert Molin gehört hat. Auch wenn er einmal seine Uniform gegen Zivilkleidung eingetauscht hat,

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