Die Rückkehr des Zweiflers - Covenant 08
nochmals schnaubend. »Zum einen hast du dir dies alles selbst zuzuschreiben. Alles! Wärest du nicht losgezogen, um dir diesen verdammten Stab zu holen – und hättest du Esmer nicht erzählt, dass du nach Andelain willst –, wäre nichts davon nötig gewesen. Du hast uns zum Eingreifen gezwungen. Als du den Stab hattest, mussten wir verhindern, dass du nach Andelain gelangst.«
Linden dachte, spürte aber auch, dass er sie erneut irrezuführen versuchte. Er war ihr jetzt nicht mehr verschlossen. Ihre Sinne unterschieden Facetten von Lüge und Wahrheit. Roger – oder Lord Foul – hatte sie von Andelain fernhalten wollen; das glaubte sie. Aber ihm war es nicht wirklich um ihren Stab gegangen. Wären Jeremiah und er nicht in Schwelgenstein eingeritten, hätte sie ihnen nie gefährlich werden können. Roger und seine Gebieter oder Einflüsterer – der Verächter und Kasteness – hatten einen schwerer wiegenden Grund, dafür zu sorgen, dass sie nicht in die Nähe der Andelainischen Hügel kam. Um tiefer zu sondieren, fragte Linden: »Du hast ›zum einen‹ gesagt – was habe ich noch übersehen?«
Roger schien sich nochmals mit seinem Gefährten zu beraten. Dann antwortete er mit Verachtung in der Stimme: »Wieso auch nicht? Du hältst mich offenbar für dumm. Ich soll weiterreden, damit du Zeit hast, dich zu erholen. Aber du verstehst wirklich nichts. Du verstehst überhaupt nichts. Ich kann hier nicht verlieren. Ich werde noch eine Zeit lang deine Fragen beantworten, weil ich möchte, dass du weißt, was wahre Verzweiflung ist.«
Vor langem hatte Thomas Covenant ihr erklärt: Einem Mann, der alles verloren hat, kann man nur durch eines wehtun: Man gibt ihm etwas Zerbrochenes zurück. Roger und Lord Foul hatten ihr das jetzt angetan. Aber Rogers Vater hatte nicht zugelassen, dass sein Schmerz ihn beherrschte.
»Weiter«, sagte sie mit festerer Stimme. »Ich höre.«
Roger holte mit seiner leuchtenden Hand weit aus, zeichnete einen feurigen Bogen wie aus geschmolzenem Gestein über die Decke der Grotte. Aber er richtete seine Kraft nicht gegen sie. In grimmig-entzücktem Grinsen bleckte er die Zähne, als er sagte: »Zum anderen hat immer die Chance bestanden, dass du mir meinen Ring tatsächlich zurückgeben würdest. Das hätte uns allen verdammt viel Mühe gespart. Ich habe versucht, dich dazu zu überreden. Der Croyel findet, ich hätte dich mehr bedrängen sollen. Aber mir war klar, dass du ihn nicht hergeben würdest. Du bist viel zu machtverliebt.«
Linden wusste, was Roger meinte. Er an ihrer Stelle hätte den Ring seines Vaters niemals hergegeben. Aber er verstand sie überhaupt nicht.
»Das ist keine Antwort«, erwiderte sie. Als die Transzendenz ihres Gebots abklang, fand sie mehr und mehr zu ihrem wahren Ich zurück. »Wieso wolltest du mich unbedingt von Andelain fernhalten? Sag zur Abwechslung mal die Wahrheit. Du hast etwas von einem Elohim an dir. Und der Croyel scheint zu allem imstande zu sein. Warum seid ihr beiden nicht einfach hierher gekommen, wenn ihr den Bogen der Zeit nicht aus eigener Kraft zerstören konntet? Wozu habt ihr mich gebraucht? Und wieso war es so wichtig, mich von Andelain fernzuhalten?«
Jeremiah, jener geistig behinderte Junge, den Linden adoptiert und geliebt hatte, reagierte nicht. Das konnte er nicht. Er irrte durch eine unwegsame Wildnis aus Einsamkeit und Verlassenheit, während der Croyel wie ein Tumor auf seinem Rücken hing. Sein ins Leere gehender Blick und sein nasser Mund sprachen nur von Kummer.
Trotzdem schlug er ohne Vorwarnung zu. Er ließ den ruinierten Rennwagen fallen und stürzte sich auf Linden. Sein eichener Dolch reflektierte rötliches Feuer, als er ihn hoch über den Kopf hob. Von dem bösen Blick und den spitzen Zähnen des Croyels angestiftet und geführt, trieb er sein Stilett aus dürrem Holz in den Rücken ihrer rechten Hand, wo sie den Stab umklammert hielt. Vielleicht hatte er ihre Hand an den langen Stab nageln, sie irgendwie lähmen wollen. Aber das gelang ihm nicht. In das glatte Holz des Stabes konnte sein Stilett nicht eindringen. Nachdem der scharfe Splitter aus der Würgerkluft ihre Hand durchstoßen hatte, wurde er abgelenkt.
Im ersten Augenblick gab der Wundschmerz ihr fast den Rest, biss in ihre Nerven wie Reißzähne und Säure. Sie spürte kaum, wie warmes Blut über ihre linke Hand und den Stab hinunterlief; trotzdem wirkte dieser Stich, als sei sie gekreuzigt worden. Hätte die Luft der Grotte ihre Lunge nicht mit
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