Die Rückkehr nach Atlantis ("Alantis"-Trilogie) (German Edition)
bedeckt mit Geschwüren. Eine Frau mittleren Alters war völlig kahl und ihre Arme waren so dünn wie Spazierstöcke. Mit zitternden Fingern griff sie nach den Muscheln, während sie Talita und Mario mit ihrem zahnlosen Mund anlachte. Hinter ihr drang Qualm aus der Wohnung. Es roch nach ranzigem Bratenfett. Irgendwo schrie ein kleines Kind.
»Das ist ja furchtbar«, sagte Mario, als sie alle Muscheln abgeliefert hatten. »Wie kann man so etwas nur aushalten?«
»Sie sind es von Kindheit an so gewohnt und kennen es nicht anders«, antwortete Talita. »Und sie wissen, dass sie für ihre Mühen eines Tages nach Talana kommen. Dafür strengen sie sich an.« Sie lehnte sich an die Wand und sah Mario unsicher an. »Einmal im Monat lässt Zaidon diejenigen, die alt oder sehr krank sind, ins Paradies bringen.« Ihre Stimme begann zu zittern. »Aber ich weiß nicht …« Sie stockte und biss sich auf die Lippe.
»Was weißt du nicht?«, fragte Mario nach.
»Ich weiß nicht, ob es wahr ist«, flüsterte Talita und starrte auf ihre nackten Füße. »Inzwischen glaube ich, dass es Talana gar nicht gibt. Und dass Zaidon uns nur belügt.«
Mario schluckte. »Ich bin schon in Talana gewesen«, murmelte er dann.
Talita hob ruckartig den Kopf und sah ihn an. »Wirklich? Stimmt es, dass es das Paradies ist?«, sprudelte sie heraus.
»Es ist dort sehr schön«, antwortete Mario. »Niemand muss leiden. Es gibt keinen Krieg. Alle leben in Frieden. Meine Mutter wäre in dieser Welt gestorben, aber in Talana ist sie geheilt worden.«
»Ist deine Mutter auch von Haien abgeholt worden?«, fragte Talita.
»Von Haien? Wieso?«
»Schschsch«, machte Talita plötzlich und drückte sich enger an die Wand. »Da kommt jemand.«
Jetzt hörte auch Mario die schweren Schritte.
»Patrouille«, wisperte Talita. »Zaidon lässt von Zeit zu Zeit die Unterstadt kontrollieren. Besser, du versteckst dich. Beeil dich!«
Mario sah sich gehetzt um. Er entdeckte auf der gegenüberliegenden Seite einen Mauervorsprung. Mit zwei Sätzen war er dort und verbarg sich dahinter.
Kaum hatte er sich geduckt, bog ein Mann um die Ecke. Er war ein Koloss und trug Beinkleider aus schwarzem Leder, dazu schwere Stiefel. Der nackte Oberkörper glänzte vor Öl. Um die Arme hatte er Lederschnüre gewickelt. Er war mit einem Kurzschwert und einer Peitsche bewaffnet. Als er Talita entdeckte, blieb er vor ihr stehen.
»Wie heißt du?«
»Ich bin Talita, Anjalas Tochter«, antwortete Talita mit dünner Stimme.
Der Koloss streckte seine Pranke aus, fasste Talita am Kinn und drehte ihren Kopf so, dass ihr Gesicht von der Wandfackel beschienen wurde.
»Ich kenne dich«, murmelte er dann. »Ich suche dich schon seit einer Weile. Du hast etwas gesehen, das du nicht sehen solltest. Ich muss dich mitnehmen.«
»Wovon redet Ihr?«, rief Talita und wich ängstlich zurück. »Ich weiß nicht, was Ihr meint. Ich lebe hier mit meiner Mutter und meinem Bruder …«
»Du bist eine der Muschelsammlerinnen, richtig?«
»Ja … nein … Ich sammele Muscheln, aber ich habe nichts gesehen … nichts außer Muscheln …«
Mario ballte die Fäuste. Sein Körper war angespannt.
»Du warst neulich bei den drei schwarzen Felsen und bist in die Morgenröte geraten. Zaidon hat davor gewarnt. Jeder, der die Morgenröte erblickt, muss sterben. Warum hast du Zaidons Warnung missachtet?«
Der Tonfall des Wächters war schneidend.
»Herr, das war ein Versehen«, beteuerte Talita. »Ich bin zu weit rausgeschwommen, weil die Steckmuscheln so selten geworden sind … Ich habe nicht auf die Umgebung geachtet … Und beim ersten Anzeichen der Morgenröte habe ich die Augen geschlossen, Ehrenwort. Bitte glaubt mir!«
»Das wird der Gerichtshof entscheiden«, entgegnete der Wächter. »Ich muss dich mitnehmen.«
Er packte Talita grob am Arm. Sie wehrte sich.
»Lasst mich los«, wimmerte sie. »Bitte nicht!«
Da schoss Mario aus seinem Versteck, sprang den Mann von hinten an und trat ihm in die Kniekehlen, sodass er einknickte. Talita nutzte den Moment, um sich aus dem Griff herauszudrehen.
»Lauf weg!«, brüllte Mario.
Das ließ sich Talita nicht zweimal sagen. Sie rannte los, während Mario mit dem Wächter rang.
Der bullige Mann hatte Bärenkräfte, aber Mario war wendiger. Jetzt kam es ihm zugute, dass er sich früher einmal von einem Bekannten ein paar Aikido-Techniken hatte zeigen lassen. Der Trick dabei war, dass man die Energie des Angreifers umkehrte und zur Verteidigung
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