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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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läßt sich nichts ändern, das sind die Gesetze der Bürokratie. Und was die Zeremonie am 22. Dezember betrifft, mach ich mir keine großen Sorgen. Ihr Triestiner habt es im Vergleich zum Rest Europas relativ leicht. Triest ist für die italienische Kriminalstatistik so uninteressant wie ein Friedhof zum Kinderzeugen«, sagte er und lachte schallend über seinen, wie er fand, gelungenen Vergleich. »Wie schafft ihr das bloß, daß selbst die Übeltäter einen weiten Bogen um die Stadt machen?«
    »Nur nicht übertreiben. Dafür ist das, was bei uns passiert, komplizierter als im Rest des Landes. Bei euch müßten sich die Balken biegen unter der Last der Akten, die ihr über die Stadt gesammelt habt. Nur trägt sie niemand ab. Triestiner Fälle müssen im Dunkeln bleiben, sonst bricht der Staat zusammen.«
    Biason verzog die Mundwinkel, als wüßte er ganz genau, was Laurenti sagte. »Ich bin stets der Meinung, daß der nächsteFall, der nicht passiert, der beste ist, den ich nicht lösen muß.«
    »Ja, ja«, raunzte Laurenti. »Die höchste Effizienz erreicht man, wenn das wenige, das zu tun ist, in so wenig Zeit wie möglich nicht erledigt wird. Dann bleibt genug Raum für noch mehr Unerledigtes.«
    Biason lachte. »Hoffen wir mal, daß die Zeremonie glattgeht, kein Größenwahnsinniger Probleme macht und ich danach die Beine hochlegen und mir im Friaul den Magen mit dem Essen meiner Mutter vollschlagen darf.« Er freute sich auf die typischen Gerichte seiner Heimat und schwärmte vom Frico, dem gebackenen Käse, der Gerstensuppe mit Bohnen, Polenta und der Gubana, dem typischen Hefegebäck. Sowie von den Weinen des Collio, Ribolla gialla und Tocai.
    »Oder Bärenfleisch in Vipava!« sagte Laurenti. »Es gibt ein Restaurant, das Sie unbedingt aufsuchen müssen, ›Pri Lojzetu‹, da gibt’s den Bär in allen Varianten der Haute Cuisine: Carpaccio, Gulasch, gekochte Pfoten mit frischen Kräutern.«
    »Bär?« fragte Biason ungläubig.
    »Ja, Bär. Die jungen Bären sind delikat, die alten sollte man besser ein paar Tage marinieren und länger in Sauermilch einlegen, sonst schmeckt man zu sehr ihre Zeugungskraft heraus. Aber ein Bärenkopf mit frischen Steinpilzen ist das höchste. Man muß nur darauf achten, daß das Tier ausreichend gekocht wird, wegen der Trichinen. Bären strotzen vor Würmern. Warum machen Sie nach Weihnachten nicht einen Ausflug mit ihrer Mutter dahin?«
    Biason war sich nicht sicher, ob der Kommissar, der stur zum Fenster hinausschaute, ihn auf die Schippe nahm, doch der kramte bereits einen Zettel heraus, um ihm die Adresse aufzuschreiben.
     
    *
     
    Laurenti erwachte unsanft. Eine Notbremsung brachte den Zug wie eine Masse kreischenden Eisens jäh zum Stehen und hätte ihn fast vom Sitz geschleudert. Er fluchte und tastete reflexartig nach seiner Pistole. Eine seiner Gewohnheiten hatte sich tatsächlich verändert. Seit er um Haaresbreite der Kugel eines Attentäters entkommen war, ging er nicht mehr ohne Waffe aus dem Haus. Wußte er früher nicht einmal immer auf Anhieb, in welcher Schublade er die Beretta verstaut hatte, galt ihr inzwischen sein erster Griff, bevor er die Tür hinter sich ins Schloß zog.
    Wo zum Teufel hielt der Zug? Im Sackbahnhof Venezia-Santa Lucia war er in letzter Sekunde aufgesprungen und Waggon für Waggon nach vorne gegangen, so daß er in Triest nicht lange laufen mußte. Er hatte zwei halbe Liter Rotwein zur Überbrückung der Wartezeit benötigt und sich nicht beeilt, das Lokal zu verlassen, als zur Erleichterung des Barmanns die Amerikaner endlich gegangen waren. Der maulfaule Kerl mußte ohnehin noch saubermachen. Er überhörte dessen grummelnde Kommentare, bis er einen Blick auf die Uhr warf, seine Reisetasche schnappte, grußlos hinausrannte und wenig später in die Bahnhofshalle stürzte, wo die Lautsprecherdurchsage gerade die Abfahrt ankündigte.
    Der Regionalzug, der unterwegs an jedem Misthaufen halten würde, war völlig verdreckt. Trotz aller Proteste hatte sich bei der Staatsbahn nichts geändert, Triest mit dem Zug zu erreichen, war eine Zumutung. Im zweitvordersten Waggon starrte ein hochgewachsener junger Priester, der schwarze Lederhandschuhe trug, zum Fenster hinaus. Er saß direkt hinter dem dünnen Mann mit dem schweren Gepäck und dem dunklen Mantel, den die Streifenbeamten in Mestre kontrolliert hatten. Er hing schief auf seinem Platz, die Füße über den großen Koffer gelegt, der halb in den Gang ragte, so daß Laurenti sich

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