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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Patrizia milde ab.

Vor dem Abgrund
    Man ruft mich Argos. Ich kenne keinen Schmerz und beklage mich nie. Nicht einmal, wenn sie mich mit Elektroschocks terrorisieren, die meine Aggressivität zum Irrsinn treiben, genauso wie die Peitschenhiebe auf meinen in einen schwarzen Sack gezwängten Kopf. Das Training ist hart. Zweieinhalb Stunden am Tag renne ich ohne Pause auf einem Laufband, das einen Anstieg simuliert. Tredmill, heißt es. Damit ich nicht abbrechen kann, trage ich ein weites Halsband, das an den Geländern auf beiden Seiten fixiert ist. Wenn ich nicht laufe, stranguliert es mich. Die Gewichte, die auf meinen Rücken gepackt werden, fordern zusätzliche Kraft. Insbesondere die Nacken- und Rückenmuskeln müssen in Höchstform sein. Zwei Stunden täglich schwimme ich. Knapp über der Wasseroberfläche ist zwischen den Beckenrändern ein Seil gespannt, in dessen Mitte mein Halsband befestigt wird. Wenn ich nicht schwimme, sauf ich ab. Wenn ich das Programm absolviert habe, werde ich mit einem weichen Tuch abgetrocknet und eine halbe Stunde lang massiert, anschließend geht mein Herrscher mit mir spazieren oder ich laufe neben seinem Rad her. Die grüne Gegend ist flach, es regnet häufig, vor allem bläst fast immer starker Wind. Die Luft schmeckt salzig. Einmal gab es Krach mit Spaziergängern, die sich ängstlich aneinanderdrückten und meinen Herrn beschimpften. Er solle mich an die Leine legen, brüllten sie. Er lachte nur und drohte ihnen, mich auf sie zu hetzen, was sie eingeschüchtert zum Schweigen brachte.
    Später beginnt der zweite Teil des Tagesprogramms, meistens ohne daß ich vorher Nahrung erhielt. Wasser schon. Das Flirtpole-Training entspricht meinem Instinkt als Jäger. Ich darf jagen und fangen, hetze hinter einem Spielzeug her, manchmal ist es eine Hundepuppe, die aber schnell zerreißt, meist ist es ein Knäuel verknoteter Lumpen oder ein altes Schaffell, das mein Herr an einem Stock führt, an den er es mit einer langen Schnur gebunden hat. Die Sprints, schnellen Wendungen und Sprünge erhöhen mein Reflexverhalten und meine Beweglichkeit. Ich fange das Fell, ich lasse es nicht mehr los und schüttle es, wie einen Gegner, zu Tode. Nicht die Stärke meines Bisses gibt den Ausschlag, sondern wie heftig und wie lange ich schüttle. Das treibt meine Zähne tiefer und zwingt jeden anderen zu Boden, wenn ich ihm nicht zuvor das Fleisch aus dem Leib reiße. Und dann kommt der Springpole. An schlechten Tagen ist es ein Autoreifen, an guten baumelt ein ganzes Kuhmaul zwei Meter hoch an einem Baum und schaukelt hin und her. Ich verbeiße mich und kann ohne Mühe eine Stunde daran hängen bleiben. Der Weg dahin war hart. Anfangs langweilte ich mich schnell, doch wenn ich losließ, setzte es Peitschenhiebe. Mal für Mal hielt ich länger aus. Das tägliche Programm endet in der Catmill, die auch Flying-Jenny genannt wird. Lange Holzstangen laufen waagerecht zum Boden an einer Achse. Es ist nicht immer eine lebende Katze, die vor mir in einem Netz gefangen an der Stange hängt, manchmal ist es auch ein kleiner Straßenköter. Wo er sie auftreibt, weiß ich nicht. Ich jage hinter ihnen her, nur eine Nasenlänge trennt uns, wenn mir der Bissen direkt vor die Nase schwingt. Ich werde immer schneller, ich bin ein Kämpfer, doch den Köder bekomme ich nicht zu fassen. Erst wenn meine Kraft nachläßt und mein Herrscher das Rad anhält, die Katze aus dem Sack läßt und meine Leine löst, erwische ich sie, noch bevor sie sich verdrücken kann. Sie ist der Lohn für einen harten Tag.
    Manchmal nimmt er mir Blut ab und läßt es analysieren, Spritzen erhalte ich regelmäßig, Medikamente zum Muskelaufbau, zur Steigerung des Blutsauerstoffgehalts, zur Verbesserung der Atmung. Und manchmal bekomme ich tagelang keine Nahrung.
    Ich bin nicht der einzige, der hier trainiert wird. In Ruhezeiten liege ich an einer schweren Kette, die mir keine Möglichkeit zur Bewegung läßt. Oder ich werde in eine enge Box gesteckt, durch deren Ritzen ich sehe, wie die anderen für ihre Kämpfe präpariert werden. Doch der absolute Champion bin ich, und wenn einer von ihnen nicht den Erwartungen entspricht, dann bekomme ich ihn – in einem abgeschlossenen Raum, an dem ein Halogenscheinwerfer von der Decke baumelt. Sobald ich drin bin, geht eine Tür auf, und der andere wird hereingeworfen. Meist tragen sie seinen Kadaver schon nach einigen Minuten hinaus und werfen ihn auf die Ladefläche eines Pickups. Nur einmal dauerte es

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