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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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zurückfallen. Doch jetzt war Manfredi tot.
     
    *
     
    »In einem Wohnwagen nahe der Grenze?« Proteo Laurenti kratzte sich an der Schläfe, während er die zwei Seiten überflog, die das kurze Leben des Mannes aus dem Zug enthielten. »Das ganze Jahr über?«
    Immer wieder hatte er davon gehört, daß es ein paar Eigenbrötler gab, die in Notbehausungen einsam auf dem Karst wohnten, gelegentlich in Begleitung einiger Hunde, die deutlich gesünder und besser genährt aussahen als ihre Herrchen, deren Gesichtshaut von billigem Wein stark gerötet war und nur bei Gelegenheit in Kontakt mit warmem Wasser kam.
    »Du weißt doch, der eine oder andere erbt ein Stück Land,aber Baugenehmigungen dafür gibt es keine, wegen des Naturschutzes. Das Grundstück zu verkaufen, brächte nicht viel, also kauft man sich einen gebrauchten Wohnwagen, stellt ihn unter einen Baum, legt davor einen Grillplatz an und gräbt die Grube für ein Behelfsklo hinter einem Wacholderstrauch. Und dann verbringen sie anfangs den Samstagnachmittag dort oben, nach ein paar Monaten aber schon das ganze Wochenende. Der Mann kommt besoffen nach Hause, es gibt Ärger mit der Alten, daraufhin bleibt man noch länger im kleinen Paradies – alleine natürlich. Zuerst den Sommer über, wenn die Frau lieber ans Meer will, anschließend auch den Herbst, den Winter und das Frühjahr.«
    »Und was treiben die da den ganzen Tag? Von was leben sie?«
    »Gelegenheitsarbeiten. Die einzigen treuen Freunde sind der Schäferhund und der offene Wein. Wenn es kalt ist, geht man noch häufiger in die Osmizza, weil dort, in der bäuerlichen Gaststube, eben ein warmes Feuerchen züngelt. Eine Postadresse gibt’s nicht mehr, die einzige offizielle Adresse ist die von Verwandten. Und in diesem Fall ist es die Mutter, die in der Via della Cattedrale wohnt. Wenn ihr Sohn sie überlebt hätte, dann wäre ihm in ein paar Jahren ein ordentliches Erbe zugefallen, die Häuser dort bringen einiges.«
    »Personalien?«
    »Der Mann heißt Marzio Manfredi, einundvierzig Jahre alt, geschieden. Arbeitete als Tierpräparator im Naturhistorischen Museum an der Piazza Hortis.«
    »Einer der Eichhörnchen ausstopfte? Schöner Beruf.«
    »Eichhörnchen, Eichelhäher, Bären, Hunde. Du weißt doch, was im Museum alles verstaubt.«
    Laurenti blickte in den Aktendeckel. Schulabgang mit sechzehn, Vater früh verstorben infolge eines Arbeitsunfalls auf einer der Werften, wo er es zum Vorarbeiter gebracht hatte. Die Mutter führte, bis sie vor acht Jahren in Rente ging,ein Miederwarengeschäft in der Cavana und wohnt in einem Häuschen der Familie auf dem Colle di San Giusto, dem Burghügel.
    »Vorstrafen?« Er blätterte weiter. Der Mann hatte in den Siebzigern viel mit den Ordnungskräften zu tun gehabt. Er war bei einer neofaschistischen Schlägertruppe, aus der einige der Anführer sich inzwischen ein demokratisches Mäntelchen umgehängt und es sogar zu hohen Posten in Rom gebracht hatten, was sie weder sympathischer noch kompetenter machte. Ganz im Gegenteil: Inzwischen bildeten sie Seilschaften, die öffentliche Aufträge mit Vorliebe an Parteigänger vergaben, und auch ihr Vormarsch in die Entscheidungsgremien der Sendeanstalten schien unabwendbar zu sein. Ganz langsam rutschte das Land in eine TV-gepolsterte Diktatur. Dieser Manfredi war damals mehrfach festgenommen, jedesmal aber freigesprochen worden. Laurenti erinnerte sich, wie er noch ganz frisch in der Stadt war, als diese Gruppe gewaltsam versucht hatte, das Triestiner Funkhaus der RAI zu stürmen. Manfredi war laut diesen Unterlagen ebenfalls dabei gewesen. Später schlossen die Neofaschisten ihn aus der Gruppe aus, weil er angeblich seinem Hang zum Glücksspiel verfallen und unzuverlässig war. Vor allem im Kasino von Lipizza hatte er sein Geld auf den Kopf gehauen, wo nebenan das berühmte Gestüt mit seinen Stallungen und den edlen Pferden ums Überleben kämpfte.
    »Er war gegenüber seiner Ehefrau gewalttätig. Im Jahr vor der Scheidung, die wohl sie angestrebt hat. Zweimal mußte eine Streife einschreiten, doch die Frau hat die Anzeige wieder zurückgezogen. Und dann gibt es noch eine Geldstrafe und vierzehn Monate Haft auf Bewährung wegen illegaler Einfuhr geschützter Tiere aus Bosnien.«
    »Diese Stadt!« Laurenti blies die Backen auf und stieß die Luft geräuschvoll aus. »Nichts ist hier normal. Was für Tiere?«
    »Frisch erlegte Vögel aus der Gegend um Mostar. Genautausenddreihundertfünfzig Lerchen, Wert über

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