Die Ruhe Des Staerkeren
hunderttausend Euro. Er wollte sie angeblich präparieren und an Sammler weiterverkaufen, dabei klingelte in dem Moment sein Telefon und sein Kontaktmann erkundigte sich, ob er bereits in Italien sei. Die Vögel sollten in den Töpfen einiger Feinschmeckerlokale in der Lombardei landen.«
»Lerchenpastete, mhm.« Er leckte sich die Lippen. »Was ist mit dem Lieferschein, den ich in seiner Tasche gefunden habe?« Laurenti sah das zerknitterte Blatt auf Mariettas Schreibtisch liegen. Er hatte es ihr gleich am Morgen gegeben, bevor er zur Sitzung mußte, wo er die Kommandanten der anderen Sicherheitsbehörden über die Ergebnisse der Konferenz in Rom informieren sollte.
»Russischer Kaviar«, sagte Marietta, und nun leckte sie sich die Lippen. »Fünfundsechzig Kilo, fünfunddreißig Dosen zu tausendachthundertfünfzig Gramm. Auch Penner wollen sich mal etwas gönnen. Hatte der Typ einen Schrankkoffer?«
Laurenti nickte. »Etwa so groß wie ein Wochenendhaus. So viel Kaviar muß ein Vermögen kosten. Ist da nicht so etwas wie ein Embargo drauf?«
»Washingtoner Artenschutzabkommen, Importverbot in die EU.« Marietta kramte nach einer Telefonnotiz. »Hier hätte das Zeug einen Marktpreis von gut und gern dreihunderttausend Euro. Hängt von der Sorte ab. Laut Lieferschein hat dein Mann die Ware ganz legal bei einem Großhändler erstanden, deshalb hat ihn die Bahnpolizei in Mestre auch wieder laufen lassen. Die Ware befand sich bereits im Land. Dem Mann war nichts vorzuwerfen, auch er muß schließlich essen. Aber ich denke, die Firma wird demnächst einmal Besuch von der Guardia di Finanza bekommen.«
»Sie haben die Ware nicht beschlagnahmt?« staunte Laurenti. »Der Koffer blockierte den Durchgang, ich mußte im Zug regelrecht darüberklettern.«
»Nein«, sagte Marietta. »Es heißt, es ging alles mit rechten Dingen zu.«
»Mit rechten Dingen! Ein Mann aus einem Wohnwagen reist mit einem Zentner Kaviar herum. Und wo sind die Russen, Kasachen, Tschetschenen, Turkmenen, die dahinterstecken? Wann liegt der Befund aus der Gerichtsmedizin vor?« fragte Laurenti, dabei fiel ihm ein, daß er sich endlich wieder bei Galvano melden müßte, dem ehemaligen Gerichtsmediziner der Stadt, mit fünfundachtzig im fünften Jahr zwangspensioniert und stets in Begleitung seines alten schwarzen Freundes Clouseau, einem Polizeihund im Ruhestand, der an Hundejahren den Alten vermutlich übertraf. Proteo Laurenti hatte ein schlechtes Gewissen, daß er den Alten vernachlässigt hatte, doch die vielen Konferenzen zur Sicherheitslage anläßlich der Grenzöffnung ließen ihm nicht viel Zeit für Privates. Vielleicht sollte er ihn einladen, die Weihnachtstage im Kreis der Familie zu verbringen? Ungeteilte Zustimmung würde er dafür zu Hause kaum ernten, doch einen alten Menschen konnte man schließlich nicht so einfach alleine lassen.
»Der schriftliche Bericht ist unterwegs«, sagte Marietta.
»Ja, und?«
»Nichts Neues. Erdrosselt.«
»Das heißt, der Täter hat die Schlinge um seinen Hals gelegt, die Notbremse gezogen, ihn aus dem Waggon befördert, am Rand der Mauer erdrosselt und schließlich hinabgestoßen.« Laurenti gefiel diese Version kein bißchen.
»Also jemand, der groß und stark war.«
»Vor allem jemand, der vom Fach war, der weiß, wie lang der Bremsweg eines Zuges ist. Das stinkt nach Planung von langer Hand. Aber weshalb? Wegen Kaviar?«
»Das Zeug ist teuer, aber umlegen kann man jemanden auch einfacher.«
»Als wäre das Aufsehen beabsichtigt, das ein solches Vorgehenerregt. Wie weit ist die Spurensicherung mit der Durchsuchung der Waggons?« Noch in der Nacht hatte der diensthabende Untersuchungsrichter den ganzen Zug beschlagnahmen lassen und auf ein Nebengleis beordert.
»Die Bahngesellschaft dringt auf baldige Freigabe. Aber so verdreckt, wie die Waggons sind, können sie davon nur träumen.« Marietta veränderte ihren Blick, und ihre Stimme gurrte plötzlich. »Ich würde heute nachmittag übrigens gerne freinehmen. Ich hab noch kein einziges Weihnachtsgeschenk.«
Laurenti hob die Augenbrauen. »Verschiebs auf übermorgen, dann hast du immer noch genug Zeit. Weihnachten ist erst in vier Tagen. Ich brauch dich jetzt dringender als je.«
Marietta lächelte spöttisch. »War mir schon klar. Weißt du eigentlich, daß wir länger zusammen sind, du und ich, als du und deine Frau? Aber daß du ohne mich nicht leben kannst, hast du noch nie gesagt! Das ist wirklich das schönste Geschenk, das ich mir
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