Die Ruhe Des Staerkeren
vorstellen kann.«
»Du denkst auch immer nur an eines, Marietta.« Er verdrehte die Augen, seine Assistentin konnte das Spiel einfach nicht lassen, obwohl er nie darauf eingegangen war. »Los, gib mir den Zettel mit der Adresse von unserem Feinschmecker. Ich fahr gleich nach der nächsten Sitzung hin. Frag Galvano, ob er mich begleiten will. Ein Ausflug tut ihm gut.«
»Demnächst ist da oben der Teufel los. Das wird ein wahres Volksfest, nach allem, was man so hört. Anders als bei der offiziellen Zeremonie, für die du dir den Arsch aufreißen darfst.« Marietta nahm ihm den moosgrünen Aktendeckel aus den Händen und legte ihn auf einen hohen Stapel anderer Papiere.
»Wer sich das entgehen läßt, verpaßt einen historischen Moment. Freie Fahrt für freie Bürger und ein Schlußstrich unter die Polemik der letzten sechzig Jahre. Du stehst ja auf Knackärsche in Uniform, aber kannst du dir ein Leben ohneGrenzkontrollen vorstellen?« Laurenti nahm den Zettel an sich. »Bitte mach mir noch einen Espresso. Ich bin hundemüde.«
»Dein Gesicht spricht Bände. Warum schickst du nicht Pina, damit sie sich den Wohnwagen ansieht, und haust dich dafür eine Stunde aufs Ohr? Sie kann die Fahrbereitschaft nehmen, wenn das Füßchen noch schmerzt.«
In der Tat hatte die Inspektorin am Abend des zweiten Tags, den sie alleine zu Hause verbrachte, ihre Krankschreibung vorzeitig für abgelaufen erklärt und war heute morgen hinkend wieder bei der Arbeit erschienen. Marietta hatte sie mit falschem Mitleid in der Stimme gefragt, ob der Spazierstock mit dem ziselierten Silberknauf, auf den sie sich stützte, eine Leihgabe Galvanos war. »Fehlt nur noch der Hund«, war ihr letzter Kommentar.
Pina überging die Bemerkung und stellte trocken fest, sie könnte sich ohne weiteres im Innendienst nützlich machen, anstatt ständig die eigenen vier Wände anzuglotzen. Laurenti hatte es dankbar zur Kenntnis genommen, denn die nächsten Tage brauchte er jede Unterstützung. Eigentlich hatte er nicht mit Pina rechnen können: Die erste Nachricht, die Marietta ihm an diesem Morgen zugerufen hatte, noch bevor sie seinen Espresso aus der Maschine ließ, war, daß die Kollegin sich am Sonntag vor seiner Abreise mit einem Hund eingelassen habe, nachdem es mit Männern bei ihr nicht klappte. Doch mit dieser Lappalie habe Marietta ihn in Rom gewiß nicht behelligen wollen. Gott sei Dank tauchte die kleine Inspektorin nun früher als vorgesehen im Büro auf, ihr Ehrgeiz überwand jeden Schmerz.
*
»500 an die 11 von Cherries Blood United Brief für 86«, sagte Sedem ins Telefon, und der schwer atmende Arbitrageur, der seine Weisung über den Kopfhörer entgegennahm, schlitterte bereits über das Parkett der Deutschen Börse in Frankfurt am Main.
Vor Sedem standen vier Bildschirme, über die er das Börsengeschehen an seinen Handelsplätzen verfolgte. Er saß nach seinem frühmorgendlichen Ausritt, bei dem er einen Abstecher zum Hof Deans gemacht hatte, wie an jedem Werktag bereits um halb acht an seinem Schreibtisch und würde wie üblich um 14 Uhr abbrechen. Bis dahin wollte er seine Geschäfte für den Tag erledigt haben, um sich anderem zu widmen. Er beobachtete die Kursdiskrepanzen an den verschiedenen Märkten, kaufte und verkaufte in einem Atemzug und machte Notizen.
Nachdem er vor drei Jahren sein Studium abgebrochen und seinen Vater nach entsetzlichen Auseinandersetzungen und vielen Überredungsversuchen endlich soweit hatte, daß er ihm ein Budget zur Verfügung stellte, konnte er loslegen. Sedem mußte versprechen, daß es am Jahresende nicht an Wert verloren hätte. Am Anfang war er zu vorsichtig, vertraute dem Rat von Freunden, Bankangestellten und Brokern – und machte Verluste. Dann änderte er seine Strategie und verabschiedete sich vom klassischen Aktienmarkt, der für seinen Geschmack zu langsam war und wo er mit seinen Mitteln keine hohen Renditen erwirtschaften konnte. Die Banker versuchten ständig, ihm die neuesten »Produkte« anzudrehen, an denen die Finanzinstitute selbst am meisten verdienten. Sedem hatte seit seinem Unfall genug Zeit gehabt, zu analysieren und zu beobachten. Vor allem hatte er die Widersprüche zwischen den Meldungen aus dem Wirtschaftsleben und der tatsächlichen Wertentwicklung bemerkt. Den ersten großen Coup landete er mit einer Wette auf die Zerschlagung des Daimler-Chrysler-Konzerns, dieseit Jahren absehbar war. Sein Konto machte einen munteren Sprung nach oben. Immer öfter waren ihm
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