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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Inglese am Mundwinkel hing. »Was hast du gesagt?«
    »Ich bekomme ein Kind.«
    »Nein«, riefen Proteo und Marco wie aus einem Mund, während Laura und die Großmutter still lächelten. Sie wußten natürlich längst Bescheid.

Derivate
    Auf die Minute pünktlich stoppte vor Pina eine Luxuslimousine mit Kennzeichen der Republik San Marino an der Riva Nazario Sauro. Sie machte große Augen, als ein muskulöser Mann im dunklen Anzug die Tür zum Fond eines bordeauxroten Maserati Quattroporte aufhielt und sie mit freundlichen Worten einsteigen hieß. Sie kam sich noch kleiner vor, als sie ihren Platz auf den handgenähten elfenbeinfarbenen Ledersitzen gefunden hatte, und bestaunte das teure Interieur aus Edelhölzern. Die Nobelkarosse zog die Blicke zahlreicher Passanten auf sich, die mit Weihnachtseinkäufen bepackt die Gehwege bevölkerten. Offenbar hatten manche immer mehr Geld, obwohl die steigenden Preise die Mehrheit der Bevölkerung immer härter trafen.
    Teigwaren oder Milchprodukte kosteten ein Drittel mehr als vor wenigen Monaten, der Spritpreis erreichte wöchentlich neue Höchstmarken, die nächste Strom- und Gasrechnung wurde mit Bangen erwartet. Und dann kündigten plötzlich die Versicherungskonzerne und Großbanken deutliche Gebührenerhöhungen an, weil sie sonst angeblich an Massenentlassungen nicht vorbeikamen. Wann zum Teufel begannen wenigstens die Journalisten, die Dinge beim Namen zu nennen, wenn die Staatsanwälte blind dafür waren? Es konnte doch nicht sein, daß all die zeitgleichen Preiserhöhungen ohne Absprachen erfolgten. Pina hatte oft mit ihren Kollegen darüber diskutiert, ob der Begriff der Organisierten Kriminalität inzwischen nicht auch auf die freie Wirtschaft anzuwenden war. Was war es denn anderes als Bandenbildung, wenn fünf Energiekonzerne trotz rapide fallendem Dollarkurs gleichzeitig kräftig die Preise anhoben, sie bei einem Rückgang des Rohölpreises aber kaum senkten? Zufalletwa? Doch anstatt zu rebellieren, gab es immer mehr Menschen, die jene bewunderten, die zunehmend Wohlstand zusammenrafften, indem sie Gesetzesspielräume zu Lasten der Allgemeinheit nutzten, wenn sie für sich nicht sogar Gesetze ad personam schneidern ließen.
    Der Diebstahl von Lebensmitteln nahm seit Monaten horrend zu, eine Bande war unterwegs, die Buffets ausräumte, jene typischen Lokale Triests, in denen man rasch, nahrhaft und preiswert, oft im Stehen, essen konnte. Das wirkliche Drama aber waren die kleinen Eigentumsdelikte, die auf das Konto der Rentner gingen. Zwar hatte man schon seit einigen Jahren beobachtet, daß alte Leute die Mülltonnen durchsuchten, doch jetzt saßen den Kollegen plötzlich anständig gekleidete Omas gegenüber, die im Supermarkt ein paar preiswerte Lebensmittel mitgehen lassen wollten. Sie wanden sich vor Scham und hatten oft lange mit sich gehadert, bevor sie zur Tat schritten. Und niemals waren es die teuersten Waren, die sie mopsten. Angezeigt wurden sie meist erst, wenn sie zum wiederholten Mal erwischt wurden. Diese armen Leute bettelten dann vor allem darum, daß ihre Kinder auf keinen Fall davon erfahren durften. Dem Piccolo hatte Pina entnommen, daß Parmesankäse den ersten Platz der Lebensmittel einnahm, die gestohlen wurden, auf Platz zwei lag vorkonfektionierter roher Schinken, und immer öfter fanden sich aufgebrochene Spaghetti-Packungen, aus denen gerade mal eine Portion entwendet worden war. Eine Handvoll Nudeln! Und das ausgerechnet in der Stadt, die in Italien über die zweithöchsten Spareinlagen pro Einwohner und das höchste Pro-Kopf-Einkommen im Nordosten verfügte! Der Einzelhandel litt unter stark rückläufigem Absatz, doch der Präsident der Handelskammer demonstrierte seine Tatkraft, indem er öffentlich kundtat, daß man die Preise wegen mangelnder Nachfrage nicht senken könne. Der Mann mußte in Harvard studiert haben! Genauso wie der Bürgermeister,der in einer Broschüre über die Belange des Hafens den Konkurrenten Rotterdam mit der holländischen Hauptstadt Amsterdam verwechselte, als hätte er ein paar Gramm frischgeriebenen Meerrettich in die Nase gezogen. Alles war besorgniserregend – wie sollten solche Leute die Zukunft Triests sichern, wo bereits jetzt die Konsequenzen des Wirtschaftswuchers vor allem für alte Leute und kinderreiche Familien deprimierende Auswirkungen zeigten? Auch Pina war auf Sparkurs, ihr Monatsgehalt ließ keine großen Sprünge zu, aber immerhin war sie Beamtin. Und jetzt wurde ausgerechnet sie von

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