Die Ruhe Des Staerkeren

besser zu nutzen, käme einer enormen Verschwendung gleich, und außerdem war der Tourismus an der Adria eine der Haupteinnahmequellen der Nation. Dreimal so viele Urlaubssuchende als das Land Einwohner hatte, strömten jedes Jahr herbei. Dean riß den kleineren Briefumschlag auf, der auf dem Stapel lag, und zählte rasch die darin liegenden Scheine durch. Dreitausend Euro. Und nun? Mervec hatte verlangt, daß er die Plakate in seinem Sinn veränderte. Das würde Stunden dauern. Er würde noch zum Grafiker werden. Erst dann durfte er den Packen einem Freund übergeben, der die Plakate noch in der Nacht heimlich auf der istrischen Halbinsel aufhängte. Für ein Drittel des Geldes aus dem Briefumschlag.
    Dean schaltete den Fernseher ein und suchte das Programm des Triestiner Lokalfernsehens. Den ersten Platz in den Abendnachrichten hatte erwartungsgemäß der bevorstehende Fall der Grenze. Der aufgeplusterte Bürgermeister Triests erklärte, daß auch er beim Volksfest am ÜbergangFernetti sein würde, während sich die Exponenten der Alleanza Nazionale symbolkräftig beim Vertriebenenverband aufspielten und dem Eintritt Sloweniens die kalte Schulter zeigten. Nur das Gegenteil wäre überraschend gewesen. Berlusconis Besuch in der Region wurde aufs nächste Jahr verschoben, der Export der Triestiner Industrie konnte auch 2007 deutliche Zuwächse verzeichnen, vor allem im Bereich des Nahrungsmittelgewerbes. Aber der Umsatz des Weihnachtsgeschäfts mußte drastische Rückgänge verbuchen, im Vergleich zum Vorjahr weinten aufgrund der heftigen Preissteigerungen für Lebensmittel, Energie, Benzin und Bankdienstleistungen die Geldbeutel der Bürger. Und dann kam endlich die ausführliche Meldung über den mysteriösen Mord an dem Tierpräparator Marzio Manfredi. Sein Foto wurde gezeigt, die Stelle, wo er von der Eisenbahnbrücke geworfen worden war, und schließlich seine in Tränen aufgelöste Mutter, die wortreich beteuerte, ihr Sohn sei ein herzensguter Mensch gewesen und hätte noch nie in seinem Leben etwas Unrechtes getan. Erst als seine Frau ihn verlassen habe, sei er in schwierige Verhältnisse geraten. Mütter! Dean lachte laut auf. Als zum Abschluß der Sendung noch gemeldet wurde, daß Wladimir Putin vom Time Magazin zum Mann des Jahres erkoren worden war, stellte er das Gerät leiser und begann mit seiner Arbeit an den Plakaten. Wo blieb eigentlich sein Verbindungsmann aus Izola? Sie mußten unter allen Umständen einen Weg finden, aus dem Wohnwagen Manfredis das herauszuholen, was ihnen gehörte, bevor die Polizei es fand. Das war noch wichtiger als der Befehl von Mervec.
     
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    »Bist du wahnsinnig, da arbeite ich an Heiligabend lieber im Restaurant«, fauchte Marco sogleich, als Laurenti erzählte, daß er den einsamen Gerichtsmediziner und seinen schwarzen Hund für Heiligabend eingeladen hatte. Das »Scabar« war wie jedes Jahr an den Weihnachtstagen geöffnet und bereits seit Wochen ausgebucht. Marco hatte lange darum gekämpft, an Heiligabend trotzdem freizubekommen, und sich den Zorn seiner Chefin zugezogen. Und Laura und Patrizia schauten ihren Vater an, als hätte er einen dreckigen Witz erzählt. »Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank? Galvano jetzt auch noch an Weihnachten! Du kannst einem aber auch alles verderben.«
    »Vielleicht lehnt er die Einladung ja auch ab. Aber zurückziehen kann ich sie nicht. Er ist ganz allein, seit seine Frau gestorben ist. Seine Kinder in Amerika warten nur aufs Erbe und kümmern sich nicht um ihn. Und außerdem war er all die letzten Jahre auch bei uns. Ich weiß gar nicht, was ihr habt.«
    »Es endet doch jedes Jahr gleich«, sagte Patrizia mit verhaltenem Tonfall, die eigentlich immer auf der Seite ihres Vaters stand. »Der Alte säuft alleine mehr Wein als wir alle zusammen und schüttet dann noch eine halbe Flasche Grappa nach. Dann kommen die Anekdoten über sein heldenhaftes Leben während der Militärzeit, anschließend die Geschichten von den Nutten, die es unter der alliierten Verwaltung in der Stadt zu Reichtum brachten, und am Ende kommt er wieder auf seine Heldenstückchen zurück und läßt sich von niemand unterbrechen.« Sie nahm noch einen Nachschlag von der Zuppa Inglese, die ihre Großmutter am Nachmittag zubereitet hatte, wobei ihr allerdings die Rumflasche ausgerutscht war. »Und weil er sich von niemand unterbrechen läßt, sitzen alle drum herum und halten die Klappe. Frohe Weihnachten!«
    »Aber ihr könnt den alten Mann doch nicht