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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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einem Chauffeur in einem Auto kutschiert, dessen Ersatzrad sie höchstens per Ratenzahlung finanzieren könnte.
    Am Grenzübergang Fernetti wurden sie durchgewunken, ab übermorgen würde dieser Posten sowieso nur noch als Erinnerung existieren. Eine Viertelstunde später brummte der Wagen das enge Sträßchen nach Jakovce hinauf, auf den Hügel, auf dem die Villa stand, in der Doktor Černik ihr Erste Hilfe geleistet hatte. Erst jetzt sah Pina die Videokameras, die das ganze Anwesen sicherten. Die Limousine durchfuhr den steinernen Torbogen und hielt vor dem Haupteingang, neben dem sich die östliche Glasfassade des Salons öffnete, aus dem gedämpftes Licht auf den Hof fiel. Welch unerhörte Friedlichkeit dieser Reichtum verströmte. Nur der leise Klang eines Swing schwebte in der Luft, und dieses Anwesen bot eine unverbaute Aussicht, so weit das Auge reichte. An diesem Abend hatte es aufgeklart, und eine leichte Bora war aufgezogen, die für glasklare Luft sorgte. Pina sah in der Ferne die Lichter der Vororte Triests funkeln und über sich einen Himmel voller Sterne.
    Das Summen des Elektromotors von Sedems Rollstuhl riß sie aus ihren Gedanken. Der junge Mann schien über ihren Besuch höchst erfreut zu sein. Er trug ein weißes Hemd und ein offenes Jackett mit Fischgrätmuster.
    »Guten Abend und herzlich willkommen, Pina«, rief er und reckte sich so weit er konnte empor, um ihre Wangen zu küssen. »Wie geht es Ihrem Fuß? Einen schönen Stock haben Sie.«
    Pina lächelte. In der Tat hatte sie ihn in einem der Antiquitätenläden erstanden, die sich im ehemaligen Ghetto gleich hinter der Questura befanden. »Wer weiß, wem er einst gehörte und wo er schon überall war?« Den Silberknauf hatte sie selbst aufpoliert.
    »Kommen Sie«, sagte Sedem, »nehmen wir noch rasch einen Aperitif vor dem Abendessen.« Er fuhr mit dem Rollstuhl voraus, die Türen öffneten sich alle automatisch, sobald er sich näherte. Im Salon loderte ein gemütliches Feuer im offenen Kamin, und dazu erklangen die getragenen Takte des »Creole Love Call« von Duke Ellington. Trotzdem fühlte sie sich nicht wohl in ihrer Haut. Solche perfekt inszenierten, romantischen Stimmungen waren ihr, die auf dem linken Bizeps ein zweifarbiges Tattoo trug, ein durchgestrichenes Herz mit dem Schriftzug »basta amore«, nicht geheuer. Im Fenster sah sie ihr Spiegelbild und schämte sich. Natürlich hatte sie sich umgezogen, doch in ihrem Schrank befanden sich keine schicken Kleider. Hosen und Pullover hatte sie dagegen genug. Und am Nachmittag hatte sie lange überlegt, welches Gastgeschenk angemessen war. Eine Flasche Rotwein, die ihr Walter von der »Malabar« empfehlen würde? Ein Blumenstrauß – für einen Mann? Ein Buch, aber welches? Sie wußte zuwenig von ihrem Gastgeber. Am Ende hatte sie sich zu Hause an ihren Schreibtisch gesetzt und mit raschen Strichen eine Karikatur von Sedem auf seiner Lipizzaner-Stute angefertigt, auf deren Kruppe auch sie saß. »Tausend Dank an meinen Retter«, stand auf dem flugs kolorierten Blatt, das sie schließlich zusammengerollt und mit einer blauen Schleife versehen hatte. Sie hielt es hinter dem Rücken.
    »Aber bitte, setzen wir uns doch. Wie wär’s mit einemNegroni, ich ziehe ihn dem Americano vor. Ohne Gin schmeckt das einfach nicht.« Sedem rollte zu einer Bar, an der er sich zu schaffen machte.
    Pina hörte Eiswürfel klimpern und sah ihn mit Campari-, Gin- und Wermutflaschen hantieren. Und noch immer stand sie da wie bestellt und nicht abgeholt. Warum nur hatte sie die Einladung angenommen?
    Als Sedem wieder anrollte, hielt er ein Tablett mit den beiden Drinks in seiner linken Hand. »Pina, bitte, fühlen Sie sich ganz zu Hause. Mein Vater läßt sie grüßen, er kann uns leider keine Gesellschaft leisten. Geschäfte.«
    Pina nahm ihr Glas entgegen, stieß mit ihm an und überreichte Sedem endlich ihre Zeichnung. »Nur eine kleine Erinnerung. Es tut mir leid, aber ich wußte wirklich nicht, was ich Ihnen mitbringen sollte«, beichtete sie verlegen. Sie nahm zwei große Schlucke und fühlte sich besser, als sie die Wirkung des Alkohols spürte.
    »Was für ein wunderbares Blatt. Ich lasse es gleich morgen rahmen.« Sedem schien sich tatsächlich über ihre Zeichnung zu freuen. »Vielen Dank. Ich hoffe, ich kann Sie bald wieder retten, oder besser gesagt, immer wieder. Dann wird es eine ganze Sammlung. Wenn ich aufstehen könnte, dann würde ich Sie in den Arm nehmen und küssen.« Er streckte die Hand

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