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Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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aus, noch bevor Pina entscheiden mußte, ob sie nähertreten sollte, hörte sie die Stimme einer alten Dame.
    »Du hast also Besuch. Ist sie das Mädchen, von dem du die ganze Zeit schwärmst?« Die Frau war sehr alt, doch sie schritt aufrecht und ohne Stock durch den Salon und blieb wie ein General zwei Meter vor Pina stehen. Ihr Haar war frisch frisiert.
    »Das ist Pina«, stellte Sedem vor, »und das ist Großmutter Sonjamaria. Ich wußte gar nicht, daß du um diese Zeit noch auf den Beinen bist. Leistest du uns Gesellschaft? Das Abendessen ist gleich soweit.«
    Pina grüßte verlegen und verharrte nach einem halben Schritt auf sie zu, denn die Oma schien wenig Wert darauf zu legen, ihr die Hand zu geben.
    »Was gibt’s denn?« fragte Sedems Großmutter. Die Frau war trotz ihres hohen Alters immer noch größer als die Inspektorin und ließ sie nicht aus den Augen. »Italienerin?«
    Pina nickte.
    »Jota, und danach einen Schweinebraten«, sagte Sedem. »Mit wildem Thymian.«
    »Du hättest deinem Gast auch Bär anbieten können. Das hat die Signorina sicher noch nie gegessen.« Sie hatte eine eigenartige Aussprache. Grammatik und Wortschatz waren triestinisch, der Akzent aber deutsch, das Slowenische, das doch ihre Muttersprache war, wie Doktor Černik gesagt hatte, drang nicht durch.
    »Willst du mit uns essen? Dann lasse ich noch ein Gedeck auflegen«, sagte Sedem.
    »Den ganzen Abend werde ich euch nicht Gesellschaft leisten können.« Großmutter Sonjamaria schaute auf den Drink in Pinas Hand. »Negroni? Das ist das beste an Italien. Laß auftragen, Sedem. Und sag Maria, sie soll meinen Teller nicht zu voll machen.« Mit kleinen Schritten trippelte sie davon.
    »Wenn Großmutter etwas beschließt, heißt es für die anderen, sich dran zu halten. Da gibt es keine Diskussionen«, sagte Sedem leise.
    Die alte Dame hielt ganz offenbar das Ruder in ihren Händen. Er nahm Pina das Glas ab und rollte auf seinem elektrischen Stuhl zu einer mit viel Aufmerksamkeit fürs Detail gedeckten langen Tafel, an deren einem Ende ein Strauß weißer Calla thronte. Seine Großmutter hatte bereits ihren Platz am Kopfende eingenommen und schaute ihnen ungeduldig entgegen. Hinter ihr prangte ein großformatiges Bild von Fernand Léger, von dem Sedem sagte, es sei ein Favorit seinesVaters und trüge den Titel »Arbeiter in der Fabrik«. Passend, fand Pina. Sie brauchte keine Aufforderung, ihren Platz zu finden. Auf einer Seite des Tischs fehlte ein Stuhl.
    »Italienerin also«, wiederholte die alte Frau und brach das verlegene Schweigen. »Aus welchem Teil des Landes?«
    Der Fahrer des Maserati servierte – mit weißen Handschuhen – eine Flasche Schaumwein und zeigte Sedem das Etikett, der zustimmend nickte.
    »Kalabrien«, sagte Pina. »Costa dei Gelsomini.«
    »Italiener! Ich hasse sie. Salute.« Sie hob ihr Glas, fixierte die Inspektorin und nippte.
    Notgedrungen prostete ihr auch Pina zu. Die Worte dieser alten Frau am Tisch waren nicht besonders gastfreundlich. Natürlich waren auch ihr die Spannungen nicht entgangen, von denen eine Handvoll nationalistischer Polemiker auf beiden Seiten der Grenzen nicht genug bekamen. Aber seit die Grenzöffnung beschlossene Sache war, schienen alle in eine selten harmonische Euphorie verfallen zu sein, und extremistische Parolen waren kaum mehr zu vernehmen. Selbst die Vertriebenenverbände schlugen moderatere Töne an, als wären ihnen mit der Erweiterung der Europäischen Union die Argumente gestohlen worden. Ihr Motto lautete derzeit »Ja zum Fall der Grenze, Nein zur Ungerechtigkeit«. Man hätte es geradewegs unterschreiben können. Pina schwieg und harrte verwirrt der Dinge, die noch auf sie zukommen sollten.
    »Machen Sie sich bitte nichts draus, Pina«, sagte Sedem. »Großmutter Sonjamaria meint es nicht so.«
    »Du willst nur beschwichtigen, Sebastian, weil du der Meinung bist, es gehöre sich nicht, so mit einem Gast zu reden. Aber ich meine es durchaus so. Ich hasse sie. Italiener! Ich hasse die Österreicher, die Deutschen, die Engländer, Slowenen, Amerikaner und auch die Franzosen. Ich hasse sie alle.« Das Gesicht der alten Frau blieb ausdruckslos, und auch ihreStimme hob sich trotz all dieses Hasses nicht. Und ohne jeden Übergang und ohne mit der Wimper zu zucken fuhr sie fort: »Wie alt schätzen Sie mich, Signorina?«
    »Fünfundsiebzig«, log Pina, nachdem sie sich verlegen geräuspert hatte. Die Köchin kam mit einer Schüssel dampfender Jota herein, der typischen

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