Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Ruhe Des Staerkeren

Die Ruhe Des Staerkeren

Titel: Die Ruhe Des Staerkeren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
Vom Netzwerk:
geboten hätte. Die Stimmung war aufgeräumt. Duke sprach die ganze Zeit von Musik. Pina kannte kaum einen der Komponisten und Interpreten, doch war sie davon beeindruckt, wieviel Leidenschaft dieser Mann dafür mitbrachte. Hätte ihr Sedem nicht so viel von seinem Vater erzählt und sie ihn vorher nicht in seinem Büro gesehen, dann wäre sie niemals auf die Idee gekommen, daß dieser Mann Milliardenwerte auf den Finanzmärkten bewegte.
    Ihren Vorsatz, Sedem am Nachmittag in aller Deutlichkeit klarzumachen, daß ihre Annäherung nur ein Ausrutscher war, hatte Pina nicht durchgehalten. Zwar war sie nach wie vor der Überzeugung, daß aus ihrer Berührung keine ernsthafte Liaison werden könnte, doch der Humor des jungen Mannes heiterte sie auf, und seine Ruhe bedrängte sie nicht. Er hatte ihr frank und frei erklärt, er mache Sex wie eine Lesbe. Es sei eigentlich gar nicht viel passiert, denn wegen seiner Lähmung sei fast komplett eingeschränkt, was unterhalb seines Bauchnabels geschah.
    Er raubte Pina einfach die Argumente, die sie sich auf der Fahrt zurechtgelegt hatte. Sie war seiner Freundlichkeit wehrlos ausgeliefert.
    Auch seine Großmutter benahm sich an diesem Abend zivilisert, lobte die klare Fischsuppe und den Butt, den die Köchin im Ofen zubereitet hatte. Und Duke sprach mit seiner leisen, weichen Stimme immer weiter über Musik, so wie es sich zwischen ihm und Sedem eingespielt hatte, damit sie keine Themen berühren mußten, die sie trennten.
    »Keith Jarrett habe ich über Chet Baker kennengelernt, in New York. Er ist zwei Jahre jünger als ich. Und er hat mir Airto Moreira vorgestellt, den brasilianischen Percussionisten.«
    Sofort wurde Duke von seiner Mutter unterbrochen. »Und ich habe Louis Armstrong gekannt, da warst du gerade mal zwei Jahre alt. Am 24.Oktober 1949 gab er sein Konzert im Teatro Rossetti in Triest, und Velma Middleton hat mit ihm gesungen. Und später war ich befreundet mit John Hendricks, Thelonius Monk und Gerry Mulligan.«
    »Ja, Mommie, und wenn die Gerüchte stimmen, dann hast du über Jahre ein Verhältnis mit Duke Ellington gehabt und ihm sein Lebensende versüßt. In den Pausen seiner Konzerte hast du ihm in seiner Garderobe ein Solo geblasen.«
    »Das ist obszön! Hör endlich auf damit, es ist einfach nicht wahr.« Die alte Dame winkte entrüstet ab. »Den Guten werden immer alle Schweinereien angedichtet.«
    Duke wandte sich an Pina: »Nach dem Tod meines Stiefvaters hat sie fünf Jahre bei mir in den USA gewohnt und tatsächlich alle gekannt. Das ist keine Lüge. Die Musiker gefielen ihr, Geld fehlte ihr nicht, vergnügungssüchtig war sie wie keine andere und so attraktiv, daß sie ständig von einer Meute ralliger Kater umringt war. Eigentlich fühlte sie sich pudelwohl in Amerika. Aber dann änderte sie von einem Tag auf den anderen ihre Ansicht und ging nach Europa zurück. Ausgerechnet ins sozialistische Jugoslawien. In dieses Dorf. Marschall Tito lebte noch. Was wirklich passiert war, hat sie bis heute niemandem verraten.«
    »Duke war bereits siebzig und ein Gentleman, Goran. Kein Ferkel! Da war überhaupt nichts. Hör auf, mich ständig damit aufzuziehen. Vor allem nicht vor der jungen Dame!«
    Pina war aufgefallen, daß die Alte als einzige Sohn und Enkel stets bei ihren Taufnamen nannte.
    »Chet Baker hatte, als er mich Jarrett vorstellte, wegen seiner Heroinabhängigkeit bereits viele Zähne verloren«, sagte Duke, ohne seiner Mutter zu antworten. »Als er 1959 nach Italien floh, landete er dort für zwei Jahre im Knast, weil er Arzneirezepte fälschte. Aber dann nahm er in Rom seinbestes Album auf. ›Chet is back!‹, 1962. Ich lege es zum Dessert auf.«
     
    »Warum trägt dein Vater eigentlich immer Handschuhe?« fragte Pina nach dem Abendessen, als sie mit Sedem wieder alleine war.
    »Ein Tick. Keine Sorge, es ist nichts Ansteckendes. Er hat Angst, sich die Finger zu verbrennen«, sagte Sedem beschwichtigend. »Ich kenne ihn nicht anders, und ich kümmere mich auch nicht darum. Aber erzähl mir endlich, warum du ausgerechnet Polizistin geworden bist? Du hast doch ganz andere Talente. Die Malerei, das Theater.«
    »Damit kann man sich entspannen, aber kein Brot verdienen.« Noch nie hatte sie jemand nach ihrer Berufsentscheidung gefragt. Bei Polizisten gingen die Leute einfach davon aus, daß es sich um ein Naturgesetz handelte.
    »Und warum Polizistin?« Sedem fuhr in seinem Rollstuhl näher zu ihr heran.
    »Als ich sechs Jahre alt war, starb mein

Weitere Kostenlose Bücher