Die Runen der Erde - Covenant 07
widerstrebt, sie in die Obhut eines anderen zu entlassen.« Dann jedoch verfiel er wieder in sein irrationales Drängen. »Aber Sie haben alles getan, was Sie tun konnten. Ihr Zustand wird sich nicht bessern, wenn ich ihr nicht helfe.« Er hob eine Hand, um Lindens Protest abzuwehren. »Es gibt Dinge, von denen Sie nichts wissen. In Bezug auf diese Situation. Und ich kann sie Ihnen nicht erklären. Worte sind nicht ...« Er machte eine Pause, dachte nach. »Sie lassen sich nicht einfach in Worte fassen. Dieses Wissen muss man sich verdienen. Und Sie haben es sich nicht verdient. Nicht auf dieselbe Weise wie ich. Passen Sie auf, ich zeige es Ihnen.«
Du solltest ihn aufhalten, dachte Linden benommen. Das geht wirklich zu weit. Trotzdem unternahm sie nichts, um ihn zurückzuhalten, als er sich dem Bett näherte. Roger Covenant hatte etwas an sich, das Lindens längst vergessene Anfälligkeit für Paralyse berührte.
Er setzte sich unbeholfen so dicht neben seine Mutter, wie das Bettgeländer es zuließ, und ein Anflug von Erregung rötete seine Wangen. Seine Atmung beschleunigte sich. Seine Hände zitterten leicht, als er den Gurt an ihrem rechten Handgelenk löste.
Blumen projizierten Farbflecken in Lindens Augen: leuchtend rot und blau, unschuldig gelb. Vor einigen Minuten hätte Linden sie noch genau benennen können; jetzt hatte sie keine Ahnung, wie sie hießen. Der Himmel vor dem Fenster erschien ihr unerreichbar, zu weit entfernt, um irgendeine Hoffnung zu bieten. Der Sonnenschein spendete keine Wärme.
Joan starrte ausdruckslos an Roger vorbei oder durch ihn hindurch. Linden erwartete, dass sie sich wieder schlagen würde, aber das tat sie diesmal nicht. Vielleicht war die Tatsache, dass ihre Hand frei war, noch nicht in ihre unterschwellige Wahrnehmung vorgedrungen.
Roger legte seine Handflächen an Joans Wangen, wölbte sie um ihr schlaffes Fleisch. Sein Zittern konnte er nun nicht mehr verbergen; er schien vor Eifer zu beben, wirkte begierig wie ein vernachlässigter Liebhaber. Unsicher drehte er ihren Kopf in seine Richtung, bis er direkt in die Leere ihrer Augen sehen konnte.
»Mutter.« Seine Stimme bebte. »Ich bin es, Roger.«
Linden biss sich auf die Unterlippe. Alle Luft im Zimmer schien sich um das Bett herum zu konzentrieren, war plötzlich zum Atmen zu dick. In dem Feuer, in dem Joans Entführer ihre rechten Hände verbrannt hatten, hatte sie Augen wie Reißzähne gesehen, die begierig auf den bevorstehenden Mord an Covenant zu warten schienen. Damals hatte sie geglaubt, aus ihnen leuchte Bösartigkeit. Aber jetzt vermutete sie, das Gefühl in ihnen könnte Verzweiflung gewesen sein: eine Leere, die sich nicht ausfüllen ließ.
»Mutter.«
Joan blinzelte mehrmals. Ihre Pupillen zogen sich zusammen. Mit einer Anstrengung, die die Haut ihrer Stirn zu dehnen schien, stellten ihre Augen sich auf ihren Sohn ein.
»Roger?« Die lange nicht mehr gebrauchte Stimme kroch wie etwas Verletztes zwischen ihren Lippen hervor. »Bist du es?«
Plötzlich streng erklärte er ihr: »Natürlich bin ich es. Das siehst du doch.«
Linden wich unwillkürlich einen halben Schritt zurück. Sie schmeckte Blut, fühlte Schmerzen in ihrer Lippe. Rogers Stimme klang hochmütig, ärgerlich, als sei Joan eine Dienstmagd, die ihn enttäuscht hatte.
»Oh, Roger.« Tränen quollen aus Joans Augen; ihre freie Hand tastete ungeschickt nach seiner Schulter, umklammerte seinen Nacken. »Es hat so lange gedauert.« Ihr Gesicht blieb ausdruckslos; seinen Muskeln fehlte die Kraft, das auszudrücken, was sie empfand. »Ich habe so lange gewartet. Das war so schwer. Sorg dafür, dass es aufhört.«
»Lass das Jammern.« Er schalt sie aus wie ein Kind. »So schlimm ist es auch wieder nicht. Ich musste warten, bis ich einundzwanzig war. Das weißt du.«
Wie ...? Linden keuchte. Wie ...?
Wie hatte Roger Joan erreicht?
Wie konnte Joan irgendetwas gewusst haben?
»Ich bin brav gewesen«, versicherte Joan bittend. »Das war ich.« Ihre brüchige Stimme schien zurückzuzucken und zu seinen Füßen zu kauern. »Siehst du?«
Sie nahm den Arm von seinem Hals und schlug sich mit der Faust an die verletzte Schläfe. Als sie den Arm sinken ließ, waren ihre Knöchel mit frischem Blut beschmiert.
»Ich bin brav gewesen«, sagte sie flehend. »Sorg dafür, dass es aufhört. Ich kann es nicht ertragen.«
»Unsinn, Mutter«, schnaubte Roger. »Natürlich kannst du es ertragen. Das ist deine Aufgabe.«
Aber dann schien er Mitleid mit
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