Die Runen der Erde - Covenant 07
Sie trieb sich an und kämpfte darum, mit ihm Schritt zu halten.
Erneut strahlendes Sonnenlicht zeigte ihr sanft abfallendes Grasland. Abrupt fiel das Leichentuch des merkwürdigen Sturms von ihren Gliedern ab, und sie brach in blendend helles Licht und einen klaren Tag hinaus.
Erschöpft ließ sie sich auf Hände und Knie sinken und schnappte nach Luft, während das Gras unter ihr zu schwanken schien und eine leichte Brise ihr schweißnasses Gesicht kühlte. Eine Zeit lang hörte sie nichts als ihr heiseres Keuchen und das unregelmäßige Hämmern ihres Herzens. Die Hügel um sie herum wirkten grabesstill, seit dem Durchzug des Sturms bar aller Vögel und jeglichen Lebens. Sie wollte den Kopf heben, um Ausschau nach Anele zu halten, aber ihre Nacken- und Schultermuskeln weigerten sich, ihr zu gehorchen. Soviel sie wusste, war er vielleicht weitergerannt; würde weiterrennen, bis er sie auf ewig hinter sich gelassen hatte.
Einige Augenblicke später hörte sie jedoch ein Rascheln im Gras näher kommen, und ein Paar alter Füße, nackt und mit Narben übersät, erschienen am Rand ihres Blickfelds. Anele war zu ihr zurückgekommen. Sein glucksendes Lachen kam anfallartig wie bei einem Mann, der vor Fröhlichkeit kaum Luft bekommt. Linden versuchte, seinen Namen zu sagen, war aber zu sehr außer Atem. Wie weit hatte sie ihren kümmerlichen Fluchtversuch ausgedehnt? Hundert Meter? Zweihundert? Die Meister würden sie rasch wieder einfangen, sobald der Angriff auf Steinhausen Mithil endete.
»Jämmerlich«, gackerte Anele mit Lord Fouls Stimme. »Total erbärmlich. Du enttäuschst mich, Linden Avery. Ich wäre entzückt, dich so vor mir kriechen zu sehen, aber ich habe deine Unterwürfigkeit noch nicht verdient. Hättest du diesen gebrechlichen Krüppel nicht befreit, hätten meine Diener, die Haruchai, dir beigestanden. Sie hätten deine falschen Hoffnungen genährt. Jetzt werden sie dich aufspüren und wieder einsperren. Das missfällt mir.«
Sie hatte keine Kraft mehr; aber sie konnte noch immer Zorn empfinden. Sie war mit einem Satz auf den Beinen und tastete mit Wut im Blick nach Covenants Ring.
Anele fuhr unwillkürlich zusammen. Seine blinden Augen weinten Verzweiflung und Elend, während sein Mund das böse Lachen des Verächters artikulierte.
»Verdammt, Foul!«, keuchte Linden mit zusammengebissenen Zähnen. »Lass ihn in Ruhe. Versuch es mit mir, wenn du ein Opfer brauchst. Los, riskier es doch!«
»Und wenn ich es nicht tue?«, erwiderte Lord Foul. »Wenn ich es vorziehe, dich mit den Qualen dieses Krüppels zu verspotten? Was dann? Törichtes Weib! Reißt du ihm zu meiner Belustigung das Leben von diesen Knochen, die nicht länger ihm gehorchen?«
Linden sehnte sich nach Kraft, nach der Bestätigung durch weißes Feuer. Wilde Magie hätte ihre Zurückweisung machtvoll unterstützt. Hätte Covenants Ring nicht träge in ihrer Hand gelegen, die ihn umklammert hielt, hätte sie vielleicht sogar den Verächter das Fürchten lehren können. Aber sie war nicht Covenant. Seine Macht gehörte nicht ihr. Trotzdem hatte sie auch an ihrem Zorn genug. Mit Wut und Entschlossenheit, wenn schon nicht mit Feuer, trat sie Aneles Seelenpein entgegen.
»Das macht dir wohl Spaß, Arschloch?«, fragte sie sarkastisch. »Amüsier dich, solange du kannst. Früher oder später bekomme ich meinen Sinn für das Gesunde zurück.« Irgendwie. »Und sobald das passiert ist, lässt du Anele in Ruhe. Das garantiere ich dir. Tust du es nicht, kann ich an dich herankommen.« Ihre Wahrnehmung hatte sie mehr als einmal befähigt, von Covenant Besitz zu ergreifen. »Dann reiße ich dich mit bloßen Händen aus ihm heraus.«
Für alles, was er Jeremiah antat, ebenso wie für seine Grausamkeit Anele gegenüber.
Der Alte wich angstvoll vor ihr zurück. Der Geist, von dem er besessen war, gluckste höhnisch.
»Glaubst du?«, erwiderte er. »Das würde mir gefallen. Ein solcher Wettstreit würde mich befriedigen. Und dieser verrückte Kerl, der sich so hartnäckig an seine Existenz klammert, obwohl er schon vor ewigen Zeiten hätte abtreten sollen ...« Lord Foul lachte schallend. »... ah, er würde dabei in Stücke gerissen.«
›Nicht unbedingt‹, versicherte Linden ihm in Gedanken. ›Du ahnst nicht, wozu ich imstande bin.‹
Wie die Dinge lagen, stellte sie jedoch keine wirkliche Gefahr dar. Das wusste sie. Obwohl Aneles jammervolle Lage ihr das Herz zerriss, nützte es ihr nichts, sich vor Zorn zu verzehren. Sie sackte
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