Die Runen der Erde - Covenant 07
von Steinhausen Mithil, seit ich groß genug bin, um sie striegeln zu können. Bringst du mir Somo nicht zurück, wirst du es mir büßen.«
Die junge Frau schnaubte verächtlich, gab aber sonst keine Antwort.
Liand beeilte sich, zu Stave aufzuschließen. »Ich weiß nichts von diesen Ramen, Meister«, sagte er halblaut. »Ihr habt sie vor uns geheim gehalten. Wie könnte ich anders als töricht sein? Ihr habt aus allem, was uns hätte klug machen können, ein Geheimnis gemacht.«
Stave ignorierte Liands gerechtfertigten Vorwurf.
Der purpurrote Abendhimmel über ihnen färbte sich allmählich schwarz. Der bislang nur schwache Wind frischte kräftig auf, als ein Strom eisiger Luft aus der Gipfelregion in die Kluft herabfloss. Trotz der von Staves Körper abgestrahlten gleichmäßigen Wärme fühlte Linden immer wieder Kälteschauer über ihre Haut laufen. Bald würde sie unter dem zunehmenden Winddruck zu zittern beginnen. Sie war seit kaum eineinhalb Tagen im Land – und bereits hilflos wie ein Säugling. Dabei brauchte Jeremiah sie. Mehr als nur das: Er war darauf angewiesen, dass sie ein machtvolles Wesen, eine Sagengestalt voll Tatkraft und wilder Magie war. Stattdessen ruhte sie hier schwächlich in den Armen eines Mannes, der von solchen Dingen nichts wissen wollte.
Vor ihr bewegten die Ramen und die Urbösen sich in zwei getrennten Gruppen schemenhaft wie Wolken über den vagen Untergrund aus Geröll. Aus dem Drang heraus, irgendeine nützliche Beschäftigung für sich zu finden, fragte sie abrupt: »Stave, redest du mit mir?«
Er antwortete, ohne sie anzusehen. »Worüber möchtest du reden?«
»Erzähl mir, was du über die Urbösen weißt.« Sie wünschte sich ein Zugeständnis von ihm – etwas Persönlicheres als die Nachsicht, die er den Ramen gegenüber an den Tag gelegt hatte. »Du hast sie als großes Übel bezeichnet, aber sie verhalten sich nicht entsprechend.«
Aus der Finsternis heraus sagte Stave: »Uns sind sie so fremd wie dir. Wir wissen nichts mit ihnen anzufangen. Wir haben sie nie verstanden.«
Linden ließ nicht locker. »Trotzdem weißt du mehr über sie als ich. Ihre Geschichte. Wo sie herkommen. Ich habe nur gehört, dass sie nicht geboren, sondern gemacht werden. Von Dämondim erschaffen ... wer auch immer die sein mögen. Ich muss mehr wissen. Kannst du mir nicht mehr über sie erzählen?«
Stave schien für einen langen Augenblick über ihre Bitte und deren Folgen nachzudenken. Über Jahrhunderte hinweg hatten die Haruchai die Geschichte des Landes bewusst unterdrückt. Jetzt hatte sie ihn aufgefordert, darüber zu sprechen – und das in Liands Gegenwart. Schließlich kam seine Antwort: »Bist du dir darüber im Klaren, was du verlangst? Dieser törichte junge Mann hat beschlossen, sein Schicksal an deines zu ketten. Versucht er später, seinesgleichen zu erzählen, wie ich deine Frage beantwortet habe, müssen wir ihn daran hindern. Du scheinst Freundlichkeit und Güte zu schätzen. Willst du ihn wirklich so schlimm behandeln?«
Bevor Linden Einwände erheben konnte, warf Liand steif ein: »Deine Worte säen Verwirrung, Meister. Du drohst nicht der Auserwählten, sondern mir. Deshalb steht die Entscheidung mir zu. Etwas anderes vorzuspiegeln ist nicht ehrlich. Das steht dir schlecht an.«
Durch Staves Brust schien ein leichtes Zittern wie von unterschwelliger Anspannung zu laufen. »Nimm dich in Acht, Steinhausener«, sagte er warnend. »Solche Urteile stehen dir nicht zu.«
»Weil ihr sie ihm nicht zugesteht«, protestierte Linden. Staves Unbeugsamkeit brachte sie auf. »Er hat recht. Hältst du ihn für zu unwissend, um die Gefahren zu begreifen, ist das eure Schuld. Allein eure.«
Die Haruchai hatten aus eigenem Antrieb die Verantwortung für das ganze Land übernommen; unter diesen Umständen musste die unerwartete Hilfeleistung der Urbösen Staves Überzeugungen unterlaufen haben. Und vielleicht beunruhigte ihn, wie die Gegenwart dieser Dämondim-Brut Aneles unwahrscheinlicher Geschichte Glaubwürdigkeit verlieh. Vermutlich war sein Bedürfnis, diese rätselhaften Wesen zu verstehen, ebenso groß wie das ihrige.
»Also gut«, sagte Stave schließlich. Sein Tonfall ließ kein Entgegenkommen erkennen. »Ich werde deine Frage beantworten. Dieser Steinhausener mag sich vor uns in Acht nehmen, wie er es für angebracht hält.«
Die schemenhaft erkennbare Gruppe von Ramen schien jetzt näher zu sein als zuvor. Stave war schneller als sie – oder sie hatte ihr Tempo
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