Die Runen der Erde - Covenant 07
unterdrückt wurden. Die anderen Seilträger hatten ähnliche Taschen an ihren Gürteln. Sie tupften mit Speichel gebildeten Pflanzenbrei unter herabhängende Fleischfetzen, die sie anschließend mit Stoffstreifen bandagierten, oder machten damit Breiumschläge auf Bisswunden an Schenkeln und Schultern. Linden hatte im Land schon manche Wunderheilungen erlebt. Mit Hilfe ihres Sinnes für das Gesunde hatte sie selbst einige bewirkt, aber dies hier ...
Das letzte Blut der Gefallenen sickerte aus ihren Wunden und färbte den Granit der Felsplatte. Sein kupfriger Geruch schnürte Linden den Hals ab. Die Ärmsten waren fast bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt einen grässlichen Tod gestorben. Einer Frau fehlte das ganze Gesicht; einem jungen Mann hatten die Kiefer eines gewaltigen Wolfs das Rückgrat durchgebissen. Diese toten und verletzten jungen Leute hatten Linden das Leben gerettet. Sie erinnerte sich an Lord Fouls Untaten, aber sie hatte die wahren Opfer vergessen, die seine Bösartigkeit forderte. Sie richtete sich schwankend auf. »Mähnenhüterin«, flüsterte sie drängend. »Hami. Sie werden sterben.«
Die Mähnenhüterin kam leichtfüßig über die Felsplatte herab, um ihre verwundeten Seilträger zu begutachten. Dann begegnete sie Lindens sorgenvollem Blick. »Das ist möglich«, gab sie traurig zu. » Kresch sind in jeder Beziehung gefährliche und schmutzige Bestien. Trotzdem besitzt Amanibhavam ungeheure Heilkraft. Vielleicht reicht sie aus, um diese Wunden zu heilen. Wir können hier nichts anderes tun. Wir müssen weiter.«
»Nein.« Linden schüttelte unsicher den Kopf. »Das ist zu gefährlich. Wir können sie nicht transportieren.« Vor allem die Frau mit dem aufgerissenen Bauch nicht. Sie fügte hastig hinzu: »Liand und ich wissen, wo Aliantha wachsen.«
Heilerde kam nicht infrage. Ohne Wahrnehmungsgabe würde Linden nicht imstande sein, sie zu identifizieren, und Liand hatte sie nie gesehen.
Die Mähnenhüterin zog die Augenbrauen hoch. »Das wäre in der Tat ein Segen. Ist die Stelle weit entfernt?«
Linden wies ins Mithil-Tal hinunter. »Gib mir einen deiner Seilträger mit«, schlug sie vor. »Oder schick ihn mit Liand los, wenn ich zu schwach bin, damit sie Schatzbeeren holen.«
»Sind sie bis Einbruch der Dunkelheit zurück?«
Linden schluckte trocken. »Nein.«
»Dann schicke niemanden los. Du kennst dich im Land aus, aber wahrscheinlich nicht in diesen Bergen.« Sie wies auf ihre verletzten Seilträger. »Sobald die Sonne untergeht, weht hier ein eisiger Wind. Ohne Deckung müssten sie sterben. Du vielleicht auch, denn du bist nicht abgehärtet. Wir müssen aufsteigen. Außerhalb dieser Kluft mit ihren Steilwänden finden wir Deckung und können Feuer machen.«
Feuer, um Wasser abzukochen und Wunden auszubrennen, möglichst viel von der Infektion wegzubrennen. In dieser Kluft gab es nirgends Feuerholz.
Linden spürte, wie die Verzweiflung sie schwach werden ließ.
»Oder wir könnten absteigen«, meinte sie zögernd. »Um aus dem Wind herauszukommen. Um Aliantha zu finden.« Um zu tun, was Stave wollte. »Steinhausen Mithil wird uns helfen.«
Ernst ließ die Gesichtszüge der Mähnenhüterin streng werden. »Ring-Than, wir lieben das Land. Wir träumen seit langem davon, in unsere angestammte Heimat Menschenheim auf die Ebenen von Ra zurückzukehren.« Aus ihrem Tonfall sprach unterdrückter Zorn. »Aber wir betreten keinen Ort, an dem diese Meister herrschen.« Indem sie sich abwandte, fügte sie hinzu: »Meine Seilträger werden sich tapfer halten, solange sie können. Sie sind Ramen.«
Stave betrachtete sie ausdruckslos, als halte er es für unter seiner Würde, Anstoß an ihren Worten zu nehmen.
Linden konnte sich nicht vorstellen, welchen Groll die Ramen gegen die Haruchai hegten. Andererseits fürchtete sie sich selbst vor einer Rückkehr nach Steinhausen Mithil. Stave hatte sie überrascht, indem er der Mähnenhüterin zwei Tage zugestanden hatte. Ihrer Erfahrung nach waren Angehörige seines Volkes niemals zu Kompromissen oder Zugeständnissen bereit.
Als Linden sich schließlich mit der bedauerlichen Tatsache abgefunden hatte, dass sie nichts für die Seilträger tun konnte – dass ihre langjährige Ausbildung hier wertlos war –, setzte sie sich hin, um Kraft zu sparen. Im Schatten zwischen den Felswänden der Kluft herrschte schon richtige Abenddämmerung, und der Kamm des vor ihr aufragenden Gebirgswalls schien unerreichbar fern zu sein. Linden glaubte nicht,
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