Die Runen der Erde - Covenant 07
verringert, um ebenfalls zuzuhören.
»Du hast gehört, Linden Avery, dass die Haruchai erstmals zur Zeit von Hoch-Lord Kevin Landschmeißer ins Land gekommen sind.« Nachdem er diese Aufgabe übernommen hatte, sprach Stave trotz seiner sonst so schweigsamen Art deutlich und ohne Stocken. Trotzdem klang seine Ausdrucksweise leicht unbeholfen, als übersetze er aus einer reicheren, ausdrucksvolleren Sprache in gewöhnliche Menschenworte. »Das wiederhole ich, um zu unterstreichen, dass sie den Vater des Hoch-Lords – Lorik, Sohn Damelons, der sich den Beinamen ›Übelzwinger‹ erwarb – nicht gekannt haben. Sie hörten nur Geschichten aus jenen Jahren und über die schwarzen Bösen, die das Land heimsuchten. Wir können heute nicht mehr beurteilen, welche dieser Geschichten wahr waren.«
Linden machte es sich in den Armen des Meisters bequem. Sein Entschluss, endlich zu sprechen, wirkte auf seltsame Weise tröstlich. Er legte nahe, Stave sei trotz seiner angeborenen Unbeugsamkeit zu Kompromissen imstande.
»Manche behaupteten«, fuhr er fort, und auch Liand und die Ramen lauschten ihm, »die Bösen seien Kreaturen aus Miasma, vergänglich und unheilvoll, die aus im Donnerberg begrabenen alten Verderbnissen aufstiegen, wie Nebel über vergifteten Wassern aufsteigt. Andere sagten, sie seien Ghule und Gespenster, die gequälten Geister jener, die Opfer der Bösartigkeit des Verderbers geworden waren. Und wieder andere bezeichneten sie als Fragmente der verlorenen Seele des Einholzwaldes, Überreste von durch das Gemetzel an den Bäumen freigesetzten Geistern, die darauf aus seien, Schaden anzurichten. In drei Punkten stimmten jedoch alle Erzählungen überein: Erstens erschienen die Bösen, wo sie wollten, waren flüchtig wie Sumpflichter und bewirkten überall Unheil und Entsetzen. Zum anderen tauchte ihre schwarze und zerstörerische Lehre, die auf in der Erde vergrabenen Verderbnissen beruhte, tief in Bereiche ein, die den Alt-Lords verschlossen blieben. Und drittens war der Quell alles Übels der Bösen ihr Selbsthass. Vielleicht von den reineren Geistern, aus denen sie entstanden waren, oder den Verwüstungen, die sie im Auftrag des Verderbers bewirken mussten, in Zweifel gestürzt, begehrten sie vor allem, etwas anderes zu werden, als sie waren. Und für dieses Begehren setzten sie ihr gesamtes schreckliches Wissen ein.
Deshalb erschufen sie in langer, mühsamer Arbeit in der Verlorenen Tiefe die Dämondim. Und einige Zeit lang schien ihr Selbsthass Erfolg gehabt zu haben, denn die Dämondim waren anders als ihre Erschaffer. In Kreisen der Lords wurden sie als ›machtvoll und streng‹ beschrieben. Und man sagte ihnen nach, sie seien den Bäumen ›einst freundlich gesinnt‹ gewesen.
Trotzdem lasteten die Bösen als Fluch auf dem Land. Daher stellte Hoch-Lord Lorik sich die Aufgabe, den von ihnen bewirkten Übeln ein Ende zu bereiten. Weil ihre Lehre ihm ein unbegreifliches Geheimnis blieb, sicherte er sich die Unterstützung der Dämondim gegen ihre Erschaffer. Dabei lernte er Verzweiflung kennen, von der er nie mehr völlig genas, denn er ahnte nicht, dass der Verderber unter den Dämondim am Werk gewesen war und seine Wüteriche zu ihnen entsandt hatte, um sie Selbstverachtung lehren zu lassen – eben den Selbsthass, der die Bösen seit langem gequält hatte.
Weil sie abtrünnig gemacht worden waren, wurden die Dämondim zu Feinden der Wälder. Aus demselben Grund kehrten sie in die Brutstätten der Bösen zurück, um mit der Erschaffung der Urbösen zu beginnen. Und aus demselben Grund war die scheinbare Unterstützung, die Lorik Übelzwinger von den Dämondim erhielt, verdeckte Heimtücke, denn sie entsprang ihrem Selbsthass. Sie wandten sich gegen ihre Erschaffer, weil der Verderber listig ist – und weil sie keinen Wert in ihrer eigenen Erschaffung sahen. Und so wurde Hoch-Lord Loriks Sieg über das Böse erst durch den Verderber ermöglicht. Damit wurde die Saat aus Kummer und Zweifel gesät, die später in Kevin Landschmeißer und dem Ritual der Schändung aufging.«
Am Himmel standen noch letzte Spuren der Abenddämmerung, aber die Kluft zwischen den Felswänden war jetzt von Nacht erfüllt, die aus den Erinnerungen des Gerölls aufzusteigen, aus der dunklen Vergangenheit der Urbösen herabzufließen schien. Und mit ihr kam der schneidend kalte Nachtwind, von dem Mähnenhüterin Hami gesprochen hatte. Die Kälte seufzte und knisterte zu Staves Worten. Dennoch schien er nicht einmal zu
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