Die Runen der Erde - Covenant 07
sprechen?«
Linden zuckte mit den Schultern und bemühte sich, keine Verbitterung erkennen zu lassen. »Ich glaube nicht, dass das Kasteness war. Ein Elohim würde ihm nicht befehlen, den Mund zu halten. Er würde ihn einfach zum Schweigen bringen.«
Hinter dem Wasserfall Mithils Sturz hatte keine Macht dem Alten Schweigen geboten. Aber hier, so dicht an der Grenze des Wanderns ...
»Ich kann es nicht erklären«, fügte sie nach kurzem Zögern hinzu. »Ich weiß nur, dass wir Feinde haben, die wir noch nicht einmal kennen.«
»Trotzdem übertrifft dein Wissen das unsere«, stellte die Mähnenhüterin ruhig fest. »Die Ramen erinnern sich an vieles, aber von solchen Dingen berichten unsere Sagen nichts.« Auch diesmal deutete ihr Tonfall an, dass sie noch mehr hätte sagen können. »Dass wir uns beraten, wird immer zwingender. Wir müssen alle Missverständnisse zwischen uns tilgen. Ring-Than ...« Sie wandte sich nur an Linden. »... unser Lager ist nur zwei Meilen weit entfernt. Bist du jetzt imstande, so weit zu Fuß zu gehen? Oder hegt dein Herz noch anderen Kummer, der dich aufhalten könnte?«
»Zwei Meilen«, murmelte Linden. Sechs englische Meilen, zehn Kilometer? In ebenem Gelände, mit Aliantha in den Adern ... Sie versuchte ein Lächeln, das jedoch misslang. »Ich glaube, ich kann es schaffen. Ich brauche so viele gute Ratschläge, wie ich kriegen kann.«
Ihr Herz hegte genügend andere Sorgen, um sie bis ans Ende aller Tage aufzuhalten; aber sie hatte nicht die Absicht, sich von ihnen behindern zu lassen.
*
Zum Glück marschierten einige der Seilträger vor ihr her, und sie merkte, dass das Gras sie nicht behinderte, wenn sie in ihre Fußstapfen trat. Somo hätte sie jetzt leicht tragen können – Liand hatte es ihr angeboten –, aber sie zog es vor, ihre Bürden selbst zu tragen. Sie brauchte Zeit, um nachzudenken; sich auf das Kommende vorzubereiten.
Anfangs kam sie mühelos voran. Aliantha verlieh ihr neue Kraft, und das frühlingshafte Grasland selbst schien sie von einem Schritt zum nächsten zu tragen. Jedes Beispiel für Gesundheit und Erdkraft stärkte sie. Eine Zeit lang beobachtete sie, wie die Stimmung der Berge sich veränderte, als die nach Westen wandernde Sonne sie mit länger werdenden Schatten überzog. Kam sie an gelegentlichen Flecken von Amanibhavam vorbei, studierte Linden die nickenden gelben Blumen, sog ihren würzigen Geruch ein und versuchte, ihre erstaunliche Heilwirkung zu ergründen. Doch nach und nach versank sie wieder in ihre frühere Benommenheit. Mit jedem weiteren Schritt glich sie mehr einer Schlafwandlerin. Unter Führung der Ramen näherte sie sich allmählich dem Mittelpunkt der Grenze des Wanderns, ohne zu merken, wie weit sie schon gekommen war.
Gleichzeitig tauchten um sie herum immer mehr Ramen, die von Hamis Seilträgern verständigt worden waren, aus dem Gras auf. Vom Felsgrat aus hätte Linden glauben können, das Tal sei unbesiedelt, aber das war es keineswegs. Als sie ihre Schläfrigkeit endlich abschüttelte, stellte sie fest, dass ungefähr fünf Dutzend Ramen sich ihren Gefährten angeschlossen hatten. Die weitaus meisten waren Seilträger, die das Haar offen und ihre Garrotte um die Taille geknüpft trugen; aber drei oder vier trugen das Haar wie Mähnenhüterin Hami mit dem dünnen Seil zusammengefasst und hatten Blütenkränze aus Amanibhavam um den Hals.
Und noch mehr schlossen sich der Schar an, als Linden nun auf sie achtete, und bald war es nachgerade eine Gefolgschaft, die mit ihr durchs Gras zog oder richtiger: schwebte, denn keiner der Ramen schien das Gras, über das er wandelte, auch nur niederzudrücken. Trotz ihrer großen Zahl konnte Linden kaum erkennen, wo der Zug durchgekommen war.
Sie hatte nicht erwartet, dass hier so viele Ramen leben würden: nun schon acht oder zehn Dutzend, deren Zahl ständig weiter anwuchs. Schon bald fiel ihr jedoch auf, dass sich unter ihnen keine Kinder befanden ... auch keine alten Männer oder Frauen. Einige wenige Mähnenhüter hatten graue Strähnen im Haar, und ihre Narben waren im Lauf der Jahre verblasst. Manche Ramen wirkten älter als Hamis Seilträger. Aber keine Kinder? Keine Großeltern? Entweder standen die Ramen als Volk vor dem Aussterben – oder sie hatten alle, die nicht kämpfen konnten, an einem sicheren Ort zurückgelassen.
Oder beides.
Was war ihnen in den Jahrhunderten ihres Exils außerhalb des Landes zugestoßen?
Linden hätte Hami am liebsten danach gefragt,
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