Die Runen der Erde - Covenant 07
obwohl die Mähnenhüterin nachdrücklich erklärt hatte, sie wolle nicht vorzeitig sprechen. Aber als ihre Besorgnis wuchs, sah Linden erstmals das Ziel ihres Marsches vor sich.
Es schien eine Art Wohnstätte zu sein: ein im Gras stehendes großes Gebilde ohne Seitenwände. Holzpflöcke an den Ecken und in gleichmäßigen Abständen an den Seiten trugen ein Gitterwerk aus schmaleren Latten, auf denen ausgestochene Soden ein geschlossenes Grasdach bildeten. Unter diesem Schutzdach lagen mit trockenem Farnkraut gepolsterte Rasenstücke und verstreute Bündel, die Bettzeug zu enthalten schienen; in ihrer Mitte war Platz für einen Ring aus Herdsteinen und ein Kochfeuer. An diesem Feuer hockten zwei Seilträger, die offenbar eine Mahlzeit zubereiteten, während andere mit ihrem Mähnenhüter vortraten, um sich zu den Ramen zu gesellen, die Linden umgaben. Und jenseits dieser Behausung standen weitere – ihre Zahl konnte Linden nicht genau feststellen –, alle mit Grasdach und offenen Seiten. Jetzt wusste Linden, weshalb sie von dem Felsgrat aus keine Wohnstätten hatte erkennen können: ihre Bauweise tarnte sie.
Aber das Tal war baumlos. Die Ramen mussten die Pfosten und Latten von jenseits der Berge, die ihr Lager umgaben, herantransportiert haben. Vermutlich war dies also kein nur vorübergehendes Lager, sondern eine Wohnstätte, die dauernd oder immer wieder als Unterkunft diente. Trotzdem sah Linden noch immer keine Kinder; auch keine Ramen, die Großeltern hätten sein können.
Hami und ihre Seilträger geleiteten Linden, Stave, Liand und Anele auf eine weite kreisförmige Fläche zwischen den Wohnstätten, auf der das Gras von unzähligen Füßen zu Stoppeln herabgetreten war. Dieser freie Platz hätte vom Felsgrat aus zu sehen sein müssen: er war groß genug, um sich von dem Gras in der Umgebung abzuheben; aber die Höhe der Wohnstätten, die ihn umringten, musste ihn getarnt haben.
Am Rand des Kreises führten Seilträger Somo mit dem Versprechen weg, ihn gut zu versorgen, während Linden und ihre Gefährten aufgefordert wurden, sich in die Mitte der freien Fläche zu begeben.
»Dies ist der Versammlungsplatz der Ramen, Ring-Than«, erklärte Hami ihr. »Hier nehmen wir gemeinsam eine Mahlzeit ein, damit du rasten und neue Kräfte sammeln kannst. Damit hoffen wir, für Ungezwungenheit zwischen uns zu sorgen. Anschließend wollen wir uns nach Art der Ramen beraten. Wir werden von uns selbst sprechen, und ihr werdet uns eure Geschichten erzählen, damit es Freundschaft zwischen uns geben kann.«
Linden begann automatisch zuzustimmen, aber die Mähnenhüterin kam ihr zuvor. Die Menge um sie herum hatte sich verändert; alle Seilträger hatten sich an den Rand der freien Fläche zurückgezogen und dabei Anele mit sich genommen. Linden und ihre Gefährten waren jetzt nur noch von Mähnenhütern umgeben.
»Vor allem muss es jedoch Verständnis geben«, fügte Hami strenger hinzu, als spräche sie für ihr gesamtes Volk. »Auch du wirst auf die Probe gestellt werden. So werden wir Ehre von Verrat unterscheiden.«
O Gott!
Linden verzog unwillkürlich das Gesicht, und Liand wandte sich ihr besorgt zu: Das hatte er offenbar nicht von den Ramen erwartet.
Stave öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Hami schnitt ihm mit einer knappen Geste das Wort ab; sie sprach weiter nur mit Linden. »Wir begehren Freundschaft mit dir, Ring-Than. Du bist von Kresch gejagt worden und hast Aliantha gegessen. Mit eigener Macht und eigenem Wissen hast du Seilträgerin Sahah ins Leben zurückgeholt, als wir es nicht vermochten. Und du trägst, was uns Respekt abnötigt: einen Ring aus weißem Feuer, wie Thomas Covenant ihn gegen den Reißer angewandt hat. Liegt es an uns, Freundschaft anzubieten, wollen wir sie bereitwillig gewähren.«
Linden reagierte nicht. Auf die Probe gestellt? Verrat? War sie in einen Hinterhalt gelockt worden? Hatte Aneles erzwungenes Schweigen sie dort hineingeraten lassen? Wer der hier Anwesenden hatte versucht, Anele am Sprechen zu hindern?
»Auch Liand aus Steinhausen Mithil wollen wir nichts Böses«, fuhr die Mähnenhüterin fort. »Wir sehen, dass er zwar nicht sehr geschickt, aber ehrlich ist. Wir würden uns freuen, ihn ohne Misstrauen bei uns zu begrüßen.«
Liand beobachtete Hami sorgenvoll; in seinem Blick lagen alle möglichen widersprüchlichen Reaktionen.
Die Mähnenhüter betrachteten ihn, als Hami seinen Namen sagte, und konzentrierten sich dann wieder auf Linden. Sie studierten
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