Die Runen der Erde - Covenant 07
vermutlich eingeholt, bevor er sein Ziel erreichte. Doch schließlich kamen die Reiter in einer Staubwolke neben Hrama und Mahrtiirs Ranyhyn zum Stehen, und Linden glitt sofort von Hyns Rücken und rannte stolpernd zu den Felsen. Dort zögerte sie jedoch, weil sie Aneles Pfad nicht finden konnte. Jede Lücke, jeder Spalt zwischen den Felsbrocken sah für sie gleich aus: flach und ohne Tiefe, ohne Ziel. Aber dann war Stave mit einem Satz an ihr vorbei. Er hatte bessere Augen als sie und musste sich gemerkt haben, wo Anele zwischen den Felsen verschwunden war.
Hinter einer Granitplatte, die eng an noch größeren Felsbrocken zu lehnen schien, entdeckte er einen Durchschlupf, der eben breit genug für ihn war. Ohne im Geringsten zu zögern, verschwand er in dem Spalt dahinter.
»Folge dem Bluthüter, Ring-Than«, rief Bhapa ihr aufmunternd zu. »Der Mähnenhüter hat den Pfad markiert.«
Linden sah keine Zeichen auf den Felsen, aber sie glaubte dem Seilträger trotzdem – und zweifelte nicht an Staves Instinkten. Sie beeilte sich, den Männern durch das Felsenlabyrinth zu folgen.
Tief hinter der Granitplatte öffnete sich eine weitere Spalte, eine gewundene Passage zwischen übereinander aufgetürmten Monolithen. In diese Tiefen verirrte sich nur gelegentlich ein Sonnenstrahl, sodass der Pfad größtenteils in ungewisses Halbdunkel gehüllt vor ihr lag. Über Staves noch dunklere Schultern hinweg ahnte Linden jedoch flackerndes Licht, tanzende Flammen. Und als sie das Ende der Passage erreichte, befand sie sich vor einem Höhleneingang, der einem eingestürzten Tunnel glich. Der Felssturz hatte den Eingang begraben, ohne ihn jedoch unpassierbar zu machen.
Mahrtiir erwartete sie dort mit einer Fackel, die heiß brannte, weil sie durch endlos lange Lagerung fast zu Zunder geworden war. Das raue Holz musste an seinen verbrannten Handflächen schmerzen, aber er achtete nicht weiter darauf.
Linden rannte ein paar Schritte weiter, um Stave am Arm zu packen, ihn zurückzuhalten. Dann fragte sie Mahrtiir keuchend: »Anele ...?« Der Durchgang durch die Zäsur hatte Aneles Geisteskrankheit nicht geheilt. Fand er den Stab des Gesetzes, konnte er vielleicht wieder genesen – oder endgültig den Verstand verlieren.
»Er geht voraus«, antwortete der Mähnenhüter. »Dies war einst seine Wohnstätte, auch wenn er sie seit vielen Jahren nicht mehr betreten hat. Als ich Fackelholz entdeckt habe, bin ich zurückgekommen, um dir zu leuchten. Er kann nicht verloren gehen. Seine Spuren ...« Er zeigte auf Aneles Fußabdrücke im Staub auf dem Höhlenboden. »... werden uns führen.«
Ohne Staves Arm loszulassen, schob Linden den Ramen vor sich her. Während sie tiefer in den Berg hineingingen, fragte sie: »Wie groß ist die Höhle überhaupt?«
»Das weiß ich nicht, Ring-Than«, antwortete Mahrtiir. »Vielleicht erstreckt sie sich über Meilen hinweg. Aber die eigentliche Wohnstätte ist nahe.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Wenn der Alte einst hier gelebt hat, hat er sie schon vor langem aufgegeben. Jedoch haben auch andere sie betreten.«
Lindens Herz schlug dröhnend. »Andere ...?«
»Zeit und Staub haben ihre Fußspuren verwischt«, erklärte Mahrtiir ihr. Der Fackelschein warf groteske Schatten über sein Gesicht. »Ich kann weder Art noch Zahl mehr feststellen. Ebenso wenig kann ich sagen, wann sie gekommen oder gegangen sind. Gewiss weiß ich nur, dass sie vor Jahren oder Jahrzehnten hier waren.«
O Gott.
Die Dunkelheit vor ihr schien plötzlich voller Katastrophen zu stecken. Erinnerungen an die in der Zäsur erlittenen Qualen schienen sie zu verspotten, als sie sich erneut in Bewegung setzte. Dann öffnete der Höhlenschlund sich zu einem größeren Raum, zu einer Kaverne im Fels. Im unsteten Fackelschein erkannte Linden die von dem früheren Bewohner zurückgelassenen Spuren: Sie schienen für Augenblicke zu existieren und wieder zu verschwinden, während die Flamme größer wurde und dann schrumpfte.
An einer Wand lag ein ordentlicher Stapel von etwas, das einst Bettzeug gewesen sein mochte. Selbst in der trockenen Höhlenluft waren das Gewebe der Wolldecken und die Füllung der Matratze größtenteils verrottet; den Rest hatte Ungeziefer zernagt. Gegenüber standen ein Tisch – eine Holzplatte auf Böcken – und ein dreibeiniger Hocker, beide auf Beinen, die brüchig wie trockene Zweige waren. Auf einem weiteren, niedrigeren Tisch entdeckte Linden zur Vorratshaltung Tongefäße und Amphoren, von
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