Die Runen der Erde - Covenant 07
Fackelschein in die Dunkelheit hinein.
Überraschung ließ ihre Gefährten zunächst erstarren. Dann rief Liand ihr nach: »Linden! Warte!«
Doch sie dachte nicht daran, ihr Tempo zu verringern. Sie vertraute Liand. Er würde mit Anele nachkommen, so schnell er konnte. Und falls er Hilfe brauchte, würden die Ramen ihn nicht im Stich lassen.
Mit Bildern von möglichen Katastrophen vor Augen, durchquerte sie Aneles verlassene Wohnstätte und rannte zum Höhlenausgang weiter.
Stave schien sie trotz seiner Hüftverletzung mühelos einzuholen, und auch Mahrtiir blieb dicht hinter ihr, leuchtete ihnen mit seiner unstet brennenden Fackel.
Die Urbösen waren zu weit weg ...
Vor ihr drangen scharf definierte Sonnenstrahlen durch Lücken zwischen den aufgetürmten Felsblöcken, und der Mähnenhüter warf seine Fackel im Laufen fort.
Die Passage vor dem Höhlenausgang war zu schmal, als dass Stave oder Mahrtiir sie hätte überholen können; sobald sie jedoch breiter wurde, sprang der Meister über einige Felsblöcke, um Linden den Weg zu vertreten. Sie prallte in vollem Lauf gegen seine harte Gestalt.
»Auserwählte«, sagte er streng, »dies ist Wahnsinn. Der Stab ist verloren. Hast und Wildheit können ihn nicht zurückholen.«
Linden warf sich gegen ihn, bemühte sich vergeblich, ihn wegzuschieben. »Verdammt«, protestierte sie, »wieso haben die Urbösen deiner Meinung nach haltgemacht? Du hast sie gesehen. Sie haben irgendwas gewittert.
Wir müssen sie einholen, bevor sie den Stab finden.«
Sie hätte bei den Urbösen bleiben müssen. Aber wie hätte sie ahnen können, dass Aneles Verzweiflung sie irreführen würde?
Staves Miene veränderte sich nicht, aber er warf sich herum und rannte vor ihr her durch das Felsenlabyrinth. Mit Mahrtiir hinter ihnen stürmten sie ins Freie und liefen zu ihren wartenden Ranyhyn.
*
Als sie die Schlucht über dem Talkessel erreichten, in der sie sich von den Urbösen getrennt hatten, begann Linden zu hoffen, sie käme noch rechtzeitig. Sie konnte Kräfte spüren, von denen die Luft pulsierte: die Wände der Schlucht leiteten Ausstrahlungen von schwarzer Energie nach oben ab. Damit war klar, dass die Geschöpfe in der Nähe am Werk waren. Sie waren noch nicht weitergezogen.
Linden spürte, dass sie etwas suchten.
Weiter auf ihr Drängen reagierend, galoppierten die Ranyhyn durch die Schlucht und dann bergab. Aber als sie sich den keilförmig zusammengedrängten Urbösen näherten, verfielen sie zuerst in Trab und gingen dann im Schritt. Mit den beiden Hengsten links und rechts neben sich verharrte Hyn ein halbes Dutzend Schritte vor der Stelle, an der die Urbösen ihre Zauber woben, und von dort aus beobachtete Linden wie gebannt, was die Geschöpfe taten. Sie hatte Macht noch nie auf solche Weise angewandt gesehen.
Die obsidianschwarze Kraft wirkte so schmerzhaft auf Lindens Sinn für das Gesunde ein, dass ihr die Augen tränten. Eine Hitzewelle wie Reue breitete sich über ihre Haut aus, und ihr Mund füllte sich mit dem Geschmack von Kupfer und Sehnsucht.
Vor ihnen lag eine kleine Senke mit einer Erhebung in der Mitte. In der Kuppe dieser Erhebung hatten die Urbösen einen schmalen Rundgraben mit acht bis zehn Schritt Durchmesser ausgehoben oder sonstwie geschaffen. Während die anderen Geschöpfe sich hinter ihm zusammendrängten, richtete der Lehrenkundige jetzt die Spitze seines Wurfspeers oder Zepters in den Graben, und als nun der Sprechgesang der Urbösen erklang, strömte schwarze Kraft flüssig wie Öl und stinkend wie Abschaum aus der Eisenspitze in den Graben.
Die Flüssigkeit schien das helle Tageslicht aufzusaugen. Das Rund des Grabens füllte sich mit Schatten, die sich stumm und wie klagend wanden.
Linden rieb sich die tränenden Augen. Obwohl die Kraft nur langsam aus dem Eisenstab des Lehrenkundigen strömte, war der Graben bereits voll. Die Urbösen mussten ihre Anrufung begonnen haben, sobald ihre Gefährten und sie weitergeritten waren, um Anele zu folgen.
Innerhalb des Kreises weigerten die sich windenden Schatten sich, bestimmte Formen anzunehmen. Sie blieben undeutlich: formlos und gequält. Trotzdem vermittelte gerade ihre Unbestimmtheit den Eindruck von Suche und Begehren.
»Stave?«, murmelte Linden leise.
Was zum Teufel machten die Urbösen da?
Aber der Meister gab keine Antwort.
Die Schatten wanden sich sehnsuchtsvoll weiter, aber nun schienen sie ihre Aufmerksamkeit Schritt für Schritt von dem Keil und den Gipfeln abzuziehen
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