Die Runen der Erde - Covenant 07
Wasser zu halten; sie konnte sich keinen Ausweg aus dieser Situation vorstellen. Und sie war so müde ... Die letzte Nacht in ihrem eigenen Bett, ihr letztes vergleichsweise harmloses Erlebnis, schien schon Wochen oder Monate zurückzuliegen.
Irgendwo in der Dunkelheit seufzte der Alte. »Anele ist schwach«, murmelte er. »Zu alt. Zu hungrig. Er sollte Essen und Wasser verweigern. Lieber gleich sterben. Sie verlängern Aneles Leben nur, um ihn zu quälen. Sie wollen ihn ihr ausliefern.«
Offenbar meinte er damit eine Zäsur.
Linden fragte halblaut: »Was tut sie dir, Anele?« Trotz ihrer Erschöpfung empfand sie noch Mitgefühl. »Wovor hast du solche Angst?«
Seine Stimme bebte, als er antwortete: »Sie durchtrennt.«
Sie unterdrückte einen Fluch. »Das hast du schon gesagt. Aber was durchtrennt sie?«
»Lebensfaden.« Anele stöhnte, als hätte Linden ihn zur Verzweiflung gebracht. »Aneles Lebensfaden. Sie ist der Rachen der Sieben Höllen. Vertrauen missbraucht. Versagen. Kummer.«
Linden drang nicht weiter in ihn. Seine Verzweiflung legte ihr Zurückhaltung auf. Und sie erinnerte sich an die Sieben Höllen. Während ihrer viele Generationen andauernden Herrschaft über das Land hatte die Sonnengefolgschaft gepredigt, die Erde sei als Gefängnis für ein Wesen mit Namen a-Jeroth von den Sieben Höllen geschaffen worden, dessen Domäne aus Wüste, Regen, Pestilenz, Fruchtbarkeit, Krieg, Barbarei und Finsternis bestand. So hatte Sunder Covenant und ihr das Sonnenübel erklärt. Es war die Manifestation des Bösen, das a-Jeroth verkörperte – und zugleich die Strafe für jene, die sich dem Herrn der Sieben Höllen nicht widersetzt hatten. Linden fand den Gedanken bestürzend, nach so vielen Jahrhunderten sollten noch irgendwelche Überreste dieser Lehre vorhanden sein. Covenant, sie und ihre Freunde hatten die Sonnengefolgschaft in Verruf gebracht, als sie ihre Existenz gewaltsam beendet hatten – oder zumindest hoffte Linden, dass die Sonnengefolgschaft nach ihrer damaligen Niederlage derart in Verruf geraten war.
Die Meister nennen ihn ihren Feind, aber sie dienen ihm und wissen es nicht.
O Gott! Sie hatte wirklich keinen Boden mehr unter den Füßen; sie mühte sich in Treibsand ab. Zäsuren waren der Rachen der Sieben Höllen, der Menschen lebendig verschlang? Die Haruchai dienten Lord Foul?
Linden biss sich auf die Unterlippe, stemmte sich mit den Händen vom Fußboden hoch und kam auf die Beine. Sie hatte keine Zeit für Schleudertrauma und Prellungen, zwang sich, Erschöpfung und Todesgefahr zu vergessen. Dringender als Schlaf oder Heilung brauchte sie Informationen. Sie musste herausbekommen, was im Land geschah.
Die Nackenschmerzen beeinträchtigten ihren Gleichgewichtssinn, aber sie lehnte sich an die Wand und folgte ihr mit den Händen. Zumindest konnte sie auf diese Weise vermutlich feststellen, wie groß ihr Gefängnis war. Doch kaum hatte sie zwei Schritte gemacht, nahm sie am Rand ihres Blickfelds einen Lichtschimmer wahr. Sie zuckte zusammen, klammerte sich wie schutzsuchend an die Mauer, aber sie sah nichts. Schwärze schien um ihren Kopf zu wirbeln, sie zu einem Sturz mit sich in die Tiefe zu reißen. Ins Dunkel starrend blieb Linden mühsam auf den Beinen.
Da! Vor ihr tauchte nochmals ein Flämmchen auf. Sie sah durch einen schmalen senkrechten Spalt, der einem Schnitt in der Wand ihres Gefängnisses glich. Im nächsten Augenblick war es wieder verschwunden; aber sie hatte es gesehen. Der Spalt hatte hoch genug ausgesehen, um der Rand einer Tür sein zu können. Oder die Lücke zwischen einem Türrahmen und einem dichten Vorhang. Noch ehe sie sich in Bewegung setzen konnte, um den Spalt näher zu untersuchen, sah sie die kleine Flamme wieder. Dieses Mal verschwand sie nicht mehr; stattdessen kam sie auf Linden zu, wurde dabei größer. Und einen Herzschlag später zog eine Gestalt einen schweren Ledervorhang auf und trat über die Schwelle.
In einer Hand schien der Mann einen kleinen Tonkrug zu halten, aus dem ein brennender Docht ragte: eine Öllampe. Im Vergleich zum bisherigen Dunkel erschien Linden das schwache gelbliche Licht sehr hell. Sie konnte die Kleidung des Mannes, auch seine Gesichtszüge deutlich erkennen: das kurze Gewand aus Kalbsleder, die gezackte Narbe unter dem linken Auge.
Der Haruchai, der sie niedergeschlagen hatte.
»Beschütze!«, keuchte ihr Gefährte. »Beschütze Anele!« Er wich durch die Zähne zischend hastig zurück und kauerte sich an die am
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