Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
wich zurück, aber die Großherzogin Zofiya hatte sie sicher schon gehört. Die martialische Schwester des Kaisers war es gewohnt, Truppen zu befehligen, und ihr entging kaum etwas von dem, was um sie herum geschah. Ein junger Soldat der Kaisergarde stand in steifer Habtachtstellung da. Er hielt die königlichen Taschen und strahlte vor Stolz. Die Großherzogin verweilte neben einem ordentlich gemachten Bett, in dem sie noch vor Kurzem gelegen hatte, und sah auf ihre Taschenuhr. Ihre düstere Stirn zeigte eine schwache, aber bedeutsame Falte. Es war ein Gesicht, dem man vielleicht eine süße Schönheit zugeschrieben hätte, wären da nicht die entschlossenen dunklen Augen gewesen. Sorcha wusste, dass die Herzogin in der Öffentlichkeit ein Lächeln zeigte, das die Herzen schmelzen ließ, aber privat ziemlich streng war. Zofiya klappte die Uhr zu, steckte sie in ihre Paradeuniform und drehte sich um.
Als sie die Lippen zu einer festen, weißen, harten Linie schloss, wusste Sorcha, dass ihr der tatsächliche Hergang der Ereignisse vom Vortag bekannt war – nicht das Gespinst aus Halbwahrheiten, das der Erzabt der Öffentlichkeit verkaufte. Der Diakonin krampfte sich der Magen zusammen.
Die Kaiserfamilie mochte keinen direkten Einfluss auf den Orden nehmen können, aber Einfluss hatte sie, und nicht zu knapp. Sorcha zweifelte nicht daran, dass sie gleich etwas davon zu spüren bekam.
»Diakonin Faris.« Die Großherzogin sprach noch immer mit dem deutlichen Akzent von Delmaire. Anders als ihr Bruder hatte sie sich nicht die Mühe gemacht, etwas dagegen zu tun. Selbst mit dem Arm in der Schlinge stand Zofiya kerzengerade da, während sie Sorcha von Kopf bis Fuß musterte.
Die Diakonin war empört darüber, wie ein Kaisergardist behandelt zu werden, beherrschte sich aber. »Eure Kaiserliche Hoheit.« Sie senkte geziemend den Kopf. »Es freut mich zu sehen, dass Ihr völlig genesen seid.«
Zofiya zuckte die Achseln, und das Messing ihrer Militärjacke glänzte im schwindenden Sonnenlicht. »Vicomte Jurlise hatte Glück.«
Sorcha schnaubte unwillkürlich auf. »So viel Glück nun auch wieder nicht – habt Ihr ihm nicht zwischen die Augen geschossen wie einem prächtigen Hirsch?«
Duelle waren im Reich nicht an der Tagesordnung, aber die Großherzogin war nicht der Typ, eine Beleidigung ihres Bruders auf sich beruhen zu lassen. Als die beiden gerade frisch ihre Positionen eingenommen hatten, waren viele gegen ihre Ernennung gewesen. Damals hatte Großherzogin Zofiya viel Zeit damit verbracht, andere Aristokraten zu erschießen. Heutzutage war kaum noch jemand dumm genug, den Kaiser in ihrer Hörweite zu beleidigen. Gerüchten zufolge war ihr Vater mehr als glücklich gewesen, seine schwierige jüngste Tochter mit ihrem Bruder wegzuschicken – bevor seine eigenen Herzöge und Barone dezimiert wurden.
Zofiya zückte die Brauen, enthielt sich jedoch jedes Kommentars. Vielleicht erkannte sie den Ablenkungsversuch. »Wenn ich recht verstanden habe, erfolgte direkt vor den Palasttoren ein Angriff durch eine Art Geist. Ich hoffe, die Diakone sind immer noch fähig, ihre Arbeit zu tun.«
Dafür hatte die Großherzogin eine Vielzahl von Beweisen gesehen. Als der Orden mit ihr in dieses neue und geplagte Land gezogen war, hatten sie und ihr Bruder die Diakone etliche Male in ihrem Umgang mit Geistern erlebt. Sorcha biss sich auf die Wange, um nicht mit einer entsprechenden Bemerkung herauszuplatzen. »Es war ein ungewöhnliches Ereignis, Kaiserliche Hoheit, aber wir hatten die Situation schnell unter Kontrolle.«
»Mein Bruder und ich verlassen uns darauf, dass der Orden dergleichen regelt.« Sie zupfte an feinen schwarzen Handschuhen und warf Sorcha einen taxierenden Blick zu. »Wenn es Probleme gibt, von denen wir Kenntnis haben sollten …«
Bei den Knochen,
dachte Sorcha,
ich bin nicht geschaffen für diese Intrigen.
»Der Erzabt ist sich völlig darüber im Klaren, Eure Kaiserliche Hoheit, und wir ergreifen Maßnahmen, um dafür zu sorgen, dass es nicht wieder vorkommt.«
»Das möchte ich doch hoffen. Dass Bürger an den Toren des Palasts von Geistern getötet werden, ist nicht das Bild, das mein durchlauchtiger Bruder vermitteln will. Die Menschen müssen zuversichtlich sein, dass wir alles unter Kontrolle haben. Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass ich mit Erzabt Hastler ein Wort über diese Angelegenheit sprechen werde!«
Darauf gab es keine Antwort. Die Großherzogin vermittelte Sorcha das Gefühl, wieder
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