Die Runen der Macht - Der verfluchte Prinz (German Edition)
Notwendigkeit.« Seine Worte hallten in der leeren Leichenhalle wider.
»Tatsächlich?« Rictun lächelte finster. »Denkt darüber nach: Niemand aus dem gemeinen Volk würde glauben, dass der Orden nicht korrupt ist. Sie würden uns nie wieder trauen. Sie würden sich nie mehr an uns wenden, wenn die Geister durchbrechen.«
Merrick blickte auf seine Füße und dachte an seinen ersten Vorgeschmack darauf, was Geister den Unvorbereiteten antun konnten. Die Leichen der umgebrachten Kesselflicker spukten durch seine Albträume.
»Sie würden es verstehen, wenn wir es richtig erklären«, erwiderte Merrick und merkte selbst, wie unsicher seine Stimme klang.
Rictun trat zu ihm, betrachtete, was von Nynnia übrig geblieben war, und holte zum letzten Schlag aus. »Das glaubt Ihr selbst nicht, Chambers, und Ihr wisst, dass das Opfer dieser Frau umsonst war, wenn die Menschen das Vertrauen in uns verlieren. Wir sind die einzige Verteidigung gegen die Geister, die sie haben.«
Es schnürte Merrick die Kehle zu, und er hatte plötzlich das furchtbare Gefühl, vielleicht weinen zu müssen, wenn er jetzt sprach. Das Licht des Buntglasfensters warf einen sanften Regenbogenschimmer über Nynnias Leichnam und verbarg ihre schrecklichen Wunden. Seine Finger wanderten zurück, um ihre kalte Hand zu berühren.
Er öffnete sich Sorcha erneut, und es beruhigte ihn, dass sie trotz ihres Zorns zum selben Schluss gekommen war. Merrick räusperte sich und wandte sich seinem Vorgesetzten zu. »Eine Lüge ist etwas Schreckliches, aber was ich in den letzten Wochen gesehen habe, ist ebenfalls schrecklich. Die Wahrheit wird eines Tages ans Licht kommen.« Er hielt inne und drückte Nynnias Hand, als spürte sie das noch.
Rictuns Augen wurden schmal. »Aber nicht heute?«
»Nein, heute nicht.«
Der Presbyter nickte. »Eine weise Entscheidung, Diakon.« Da seine Befürchtungen beschwichtigt waren, wurde sein Tonfall weicher. »Ihr und Diakonin Faris werdet Euch am Ende des Tages der Untersuchung stellen. Es gibt viel zu entscheiden, wenn der Orden überleben soll.«
»Natürlich.« Dann überschwemmten ihn Sorchas Bedenken. »Presbyter Rictun«, rief er. Sein Vorgesetzter hielt an der Tür inne. »Was ist mit Raed Syndar Rossin? Er war uns eine große Hilfe. Er hat sogar das Leben der Großherzogin gerettet.«
Es war unmöglich, Rictuns Miene zu deuten. »Er ist außerdem der Thronprätendent und einer der größten Feinde unseres Kaisers. Er wird eingekerkert, bis über sein Schicksal entschieden werden kann.« Der Presbyter seufzte. »Aber ich glaube, unser Lehnsherr wird angesichts der Umstände zu Milde neigen.«
»Seid Ihr Euch dessen sicher, oder seid Ihr nur zuversichtlich?«, fragte Merrick und spürte, wie Sorchas Zorn ihm die Kehle zuschnürte.
Rictun bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Heute kann sich niemand einer Sache sicher sein, aber ich gehe selbstverständlich mit den Untersuchungsergebnissen zum Kaiser und verwende mich für Raed Syndar Rossin.«
Merrick spürte jetzt etwas anderes in Sorcha, das sie sich selbst kaum eingestand: Schuldgefühle.
Ihr Partner fragte, was sie nicht fragen konnte. »Und Diakon Kolya Petav, Presbyter? Wird er bei der Untersuchung zugegen sein?«
Seine Antwort vergrößerte Sorchas Gewissensbisse nur. »Nein. Er liegt noch immer im künstlichen Koma in der Krankenstube. Das, was der Erz…« – Rictun unterbrach sich finster – »… was Hastler mit Eurer Verbindung angerichtet hat, muss warten, bis dringendere Angelegenheiten geregelt sind.«
Es war für den Moment genug. Der Presbyter überließ Merrick seiner Trauer, und selbst seine Partnerin zog ihr Bewusstsein zurück. Er blieb allein mit der Asche seiner Liebe und seiner Hoffnung.
Der Prätendent schlief unruhig im Kaiserlichen Gefängnis, aber nicht, weil sein Gastgeber sonderlich streng gewesen wäre. Die Zelle war sauber und ordentlich, und auf den Latten des Holzbetts lag überraschenderweise eine sehr bequeme Matratze. Auch seine Wärter schienen kein Interesse daran zu haben, ihn zu foltern. Sie gaben ihm durch die Gitterstäbe einfache, aber akzeptable Kost zu essen.
Nein, es war das Geplapper der Diakone in seinem Kopf, das Raed nicht ertragen konnte. Er wälzte sich unter vielen Seufzern im Bett und versuchte, das Geflüster der Untersuchung auszublenden, die er gezwungenermaßen mit Sorcha und Merrick anhören musste.
Es war unmöglich. Welche Schleuse sie im Beinhaus auch geöffnet haben mochten – sie
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