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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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Wahrheit über Monreals Tod. Alles andere interessiert mich nicht.«
    Die Alte nickte langsam mit dem Kopf. Jemand stand auf und fachte das ausgegangene Feuer wieder an.
    Maria sah sich um. Sie kannte die Menschen hier nicht, aber sie wußte, daß es einfache Leute waren, keine Ritter oder Adeligen, keine Franken. Leute von den Höfen ringsum, Bauern, Freibauern mit ihren Frauen, Kräuterfrauen, Hebammen vielleicht. Neben dem Stein lagen Schüsseln mit Milch und Obst, ein wenig Gemüse. Opfergaben für die alten Götter.
    »Doch, es interessiert dich«, sagte die Alte und nahm den Faden des Gespräches wieder auf. »Du willst wissen, ob die Pfaffen recht haben. Wir opfern hier keine Menschen, mein Kind. Wir legen unsere Gaben nieder und reden über die alten Zeiten oder erzählen uns die alten Geschichten. Dies ist ein heiliger Ort, und das da ein heiliger Stein. Er war schon da, lange bevor unser Volk hierherkam. Niemand weiß, wie alt er ist. Die Christen haben versucht, ihn von hier fortzuschaffen, aber er ist zu schwer. Also mußten sie ihn stehenlassen. Irgendwann werden sie eine Kirche um ihn herumbauen und sagen, Gott hätte ihn hineingestellt. Das tun sie immer, wenn sie merken, daß das Alte sich nicht so leicht auslöschen läßt.«
    Maria schwieg. Das also war das Unaussprechliche, vor dem sie sich so gefürchtet hatte. Fünfzig Menschen auf einem Platz im Wald, die sich alte Geschichten erzählten. Geschichten von Göttern, von Helden und Ungeheuern. Keine Hexen, die durch die Luft flogen, keine Kröten, die in einer giftigen Suppe schmorten, keine Ausgeburten der Hölle, die ihre Seele haben wollten.
    »Was war mit dem Offizier?« fragte Maria.
    Die Alte zuckte mit den Schultern. »Er stand da, hinter den Bäumen. Ich habe gemerkt, daß etwas nicht stimmte, aber ich habe ihn nicht gleich entdeckt. Aber schließlich hörte ich, wie er zurückschlich. Ich sah ein Stück seines Waffenrockes, als er sich einmal umdrehte. Wir sind sofort aufgebrochen, denn wir dachten, jetzt kommt er zurück und hat noch andere dabei. Ich ließ nur den Jungen hier, aber der wartete die ganze Nacht, und nichts geschah.«
    »Ja«, überlegte Maria. »Monreal ging zurück und schrieb einen Brief an Bischof Gero. Deshalb kam er nicht zurück. Er hatte eine viel bessere Adresse für seine Information als Raupach oder einen anderen der fränkischen Soldaten, denen er ohnehin nicht traute. Und irgend jemand muß erfahren haben, daß er diesen Brief in seiner Satteltasche hatte, als er am nächsten Morgen aufbrach. Der Mörder.«
    »Ja«, nickte Sigrun, »der Mörder.« Sie schwieg. Plötzlich stand sie auf und warf eine Handvoll Kräuter ins Feuer. »Du kannst dich im Wasser verlieren«, sagte sie, »oder im Feuer. Beides zieht dich hinein und vernichtet dich, wenn du es nicht beherrscht. Du willst wissen, wer den Offizier getötet hat. Ich frage mich, warum. Was hast du damit zu schaffen? Deine Mutter war eine Hexe, wußtest du das?«
    Maria erschrak. Im Feuer knisterte und loderte und zuckte es. Feuer hatte Gesichter so wie die Wolken. Sie konnte sich an ihre Mutter kaum noch erinnern. Fetzen waren das. Schleier vor dem Bewußtsein.
    »Meine Mutter war keine Hexe«, sagte Maria wütend.
    Sigrun kam zurück und legte Maria die Hand auf den Arm. »Nein, natürlich nicht. Aber sie kannte den Zauber, mit Worten Kinder zur Welt zu bringen.«
    »Woher kanntest du meine Mutter?«
    »Ich sah sie, wie dich, im Wasser.«
    »Und was siehst du noch?«
    »Nichts. Ich sehe nichts.«
    Der Geruch der Kräuter wehte zu Maria herüber. Süßlich und durchdringend. Es roch nach Pfefferminze, dem Kraut ihrer Kindheit. Wenn Frauen nach der Geburt zu schwach waren, um aufstehen zu können, ließ die Mutter sie Pfefferminztee trinken.
    »Dein Vater kam hierher, um seinen Ruf wiederherzustellen«, sagte die Alte, »man beschuldigte deine Mutter, keine gute Christin zu sein, und das schlechte Licht fiel auch auf deinen Vater. Als sie starb, bot der Kaiser ihm Raupach an. So liegen die Dinge, mein Kind.«
    »Woher wißt Ihr das?«
    Doch die Alte schüttelte den Kopf. »Laß es dabei bewenden. Dein Vater hat dich christlich erziehen lassen, und deine Mutter wußte, es ist besser so.«
    Die Gesichter im Feuer wurden deutlicher. Fratzen, Vollmondgesichter, aufgelöst und wieder wie von unsichtbarer Hand zusammengesetzt. Die Kräuter machten Maria benommen. Ihr Duft lag noch immer in der Luft, aber das war keine Pfefferminze mehr, das roch nach Erde, nach

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