Die Runenmeisterin
Ihr nicht bei ihm?« Er machte eine Pause und sah sie nachdenklich an. »Ich habe immer gedacht, Ihr wäret glücklich mit ihm.«
Sie hob den Kopf. »Er ist gut zu mir. Und er ist krank.«
Mehr brauchte sie nicht zu sagen. Ein guter und ein kranker Mann. Ein langweiliger Mann. Cai nahm Maria in die Arme. Eine kurze Geste der Vertrautheit, nur einen flüchtigen Augenblick lang. Sie lehnte den Kopf gegen seine Schulter und dachte an Berthold, doch sein Bild blieb blaß. Berthold hatte nie derartige Gefühle in ihr entfacht. Sie war seine Frau gewesen, geduldig und brav. Was dieser Mann, an dessen Schulter sie lehnte, in ihr auslöste, war eine Wollust und ein unerwarteter sinnlicher Hunger, den sie eigentlich gar nicht kennen durfte. Sie war eine anständige Frau.
Sie löste sich aus seinen Armen. Sie mußte nach Hause, denn irgendwann würde man anfangen sie zu suchen. Aber sie mußte auch vor diesen Armen davonlaufen, vor diesem unaussprechlich köstlichen neuen Gefühl, das ihr gleichzeitig Angst machte. Sie stand auf und ging ohne ein Wort des Abschieds zu ihrem Pferd. Er kam ihr nach, half ihr aufzusteigen und sah ihr ein wenig verwundert nach, wie sie im Wald verschwand.
HAGALAZ
Æ
»Ein siebentes kann ich,
seh ich den Saal lodern hoch überm Hallenvolk:
nicht brennt er so breit,
daß ich ihn nicht bergen könnte,
den Segen ich singen kann.«
Sie trafen sich beim nächsten Vollmond. Sie trafen sich bei dem alten Stein, wie schon all die Hunderte von Jahren zuvor.
Ihre Gruppe war immer kleiner geworden. Es waren immer weniger gekommen, und bald würde gar keiner mehr da sein. Auch sie nicht.
Es war zu gefährlich. An dem Tag, an dem sie nicht mehr kommen würde, wäre der Zauber endgültig gebrochen.
Sie sah zum Himmel. Wolken verschleierten den Mond. Das Raunen der anderen, die im Kreis um den Stein saßen, verstummte.
Er hatte den Gang eines Tieres. Oder eines Geistes. Wortlos setzte er sich auf die Erde.
»Wir werden uns nicht mehr treffen«, sagte Sigrun, »es muß ein Ende haben.«
»Seid tapfer und ehret die Götter«, murmelte der Ire vor sich hin und dann zu ihr gewandt: »Früher konnten wir Nebel rufen und wieder verschwinden lassen. Im heiligen Kreis war jeder Zauber möglich. Jeder sollte einen Kreis um sich ziehen, der ihn schützt.«
Sigrun seufzte. »Ist es möglich, daß Götter und Zauber verschwinden, nur weil niemand mehr daran glaubt?«
Er nickte.
Sie tastete nach seiner Hand. »Ich habe Euch hierher bestellt, weil ich Euch um etwas bitten möchte. Ich habe zwei Töchter. Eine davon würde ich Euch zur Frau geben.«
Er lächelte. Die eine Tochter, von der sie sprach, hatte sich ins Kloster geflüchtet, und er wußte auch, es war die, die er begleitet hatte.
»Soll ich sie aus dem Kloster entführen?« fragte er belustigt.
»Sie verkriecht sich dort«, knurrte die Alte, »und betet Rosenkränze für mein Seelenheil. Holt sie da raus, Cai, schwängert sie, und sie muß Euch heiraten. Dann wäre sie endlich den Pfaffen entrissen.«
»Sie hat die Gelübde noch nicht abgelegt?«
»Nein, aber sie wird es bald tun. Dann hat sie sich für immer gebunden. Ich meine es ernst.«
Der Ire schüttelte den Kopf. »Ich schände keine Frauen.«
»Wer spricht denn von schänden. Seid Ihr nicht Manns genug, daß eine Frau freiwillig zu Euch käme?«
»Ihr könnt Eure Tochter nicht zu einem Glauben zwingen, den sie nicht haben will. Bedient Ihr Euch jetzt schon der Methoden der Christen?«
Sigrun senkte den Kopf. »Da ist noch etwas«, murmelte sie, ohne ihn anzusehen. »Rosalie, meine zweite Tochter, lebt bei mir in der Hütte. Ich möchte Euch bitten, Euch ihrer anzunehmen, falls die Büttel eines Tages kommen und mich holen. Würdet Ihr mir das versprechen?«
Er sah die Angst in ihren alten Augen, Angst um die Tochter, die sie vor der Welt versteckt gehalten und der sie ein Wissen beigebracht hatte, das ihr gefährlich werden konnte. Was sollte werden aus dieser Tochter, wenn die Mutter eines Tages nicht mehr lebte?
Aber der Ire zögerte. Ein solches Versprechen zu geben hieß, sich womöglich ein Leben lang binden, binden an eine Sorge, die nicht seine war, und binden an ein Kind, das er nicht einmal kannte. Wollte er sich mit einem Kind belasten?
Ein einer Runenmeisterin gegebenes Versprechen war nicht irgendein Versprechen. Es war heilig und unwiderruflich. Ein solches Versprechen aufzulösen, konnte böse Folgen haben, denn es wurde mit magischen Worten besiegelt.
»Vielleicht
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