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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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herauszufinden.
    Sie mußte in den Wald gehen und sehen, was dort vor sich ging an diesem Stein. Sie mußte dem Unaussprechlichen selbst begegnen, was immer es auch war. Eins war offensichtlich: Dort trafen sich Menschen, so wie sich dort immer Menschen getroffen hatten, in grauer Vorzeit schon. Wahrscheinlich Sachsen. Doch was taten sie da? Der Ire wußte es. Katharina wußte es wahrscheinlich auch. Verschwiegenes, verstocktes Volk, dachte Maria wütend. Sie saß vor dem erkalteten Feuer in ihrer schmalen Kammer und versuchte die Neugierde zu unterdrücken, die sie lockte und in die sich allmählich Angst mischte. Wenn sie dort hinging, so wie Monreal, würden sie dann auch sie töten? Warum nicht einfach hingehen und fragen? Schließlich hatte die Alte sie eingeweiht in ihr Geheimnis.
    Sie hätte diese Menschen eigentlich verraten müssen, um ihre eigene sündige Seele zu retten. Diese Leute, die sich dort trafen, hatten etwas zu verbergen. Wahrscheinlich waren es Heiden, Ketzer, Häretiker. Zum Scheiterhaufen verdammt. Maria wußte genug, um sie verraten zu können. Aber sie haßte Gewalt mehr als alles andere. Redete sie, wären all diese Menschen in Gefahr.
    Wenn nur die Neugierde sie nicht so schamlos lockte, einen Blick in die Welt des Bösen, der abscheulichen Sünden zu werfen. Danach würde sie noch mehr wissen. Aber sie würde nie mehr beichten, nie mehr einem Priester in die Augen sehen können. Sie wäre selbst verdammt. Und wenn alles nur eine Chimäre war? Ein dummes Hirngespinst und nichts weiter? Nur eine Einbildung ihrer Phantasie?
    Am nächsten Abend schlich sie sich aus der Burg, von einer schmalen Mondsichel begleitet. Ihr milchiges Licht führte sie zum Garten der Runenmeisterin, an der Quelle vorbei, zum Wald. Fledermäuse huschten über ihren Kopf hinweg, und sie duckte sich, denn Fledermäuse fliegen den Frauen in die Haare, so sagt man, und sie sind garstige, gräßliche Boten des Todes.
    In den Wipfeln der Bäume wisperte ein lauer Wind. Maria blieb am Rande des Waldes stehen. Wo trafen sie sich? Und wann? Der Wald war menschenleer. Nichts außer Bäumen und unsichtbaren Tieren. Vor ihren Füßen schossen Pilze aus dem Boden, fette, fleischige, schwarze Pilze, die einen herben Geruch ausströmten.
    Der Wald machte Maria Angst. Es war so still hier, nur ihre eigenen Schritte, die im Blattwerk raschelten. Vielleicht trafen sie sich morgen. Vielleicht nie mehr.
    Maria lief zurück. Sie erreichte den Garten und blieb stehen. Ihr Herz raste. Weit hinter ihr ragten die Mauern der Burg auf. Alles ist Einbildung, dachte sie. Es gab keine Heiden, keine Götter, außer Gott. Nichts Unaussprechliches, vor dem sie sich fürchten mußte.
    Von nun an ging sie jede Nacht in den Wald. Sie wartete, bis Berthold eingeschlafen war, und stahl sich aus dem Zimmer. Dann wartete sie den Wechsel der Wache ab und schlich durch eine Seitentür in der Ringmauer, deren Schlüssel sie sich heimlich aus der Waffenkammer geholt hatte. Doch sie ging nie weiter in den Wald hinein. Bald wurde ihr der Weg vertraut, sie fand ihn auch, wenn Wolken den Mond verdunkelt hielten. Sie trug Hosen und einen wollenen Mantel, denn die Nächte waren empfindlich kühl geworden.
    Fünf Nächte hintereinander bot sich ihr immer das gleiche Bild und immer die gleiche Stille. Dann, in der sechsten Nacht, blieb sie wie angewurzelt stehen. Nichts war zu hören, und doch war ihr, als habe sie jemand gerufen. Da war nichts, nur diese innere Stimme, die sie zu sich rief wie Sirenen.
    Zum ersten Mal lief Maria weiter in den Wald hinein. Sie wußte, sie waren da.
    Sie entdeckte sie um einen riesigen Stein versammelt, der gut drei Meter in die Höhe ragte. Hier bildete die Erde einen kleinen Hügel, auf dem alte Buchen standen. Es mußten fast fünfzig Menschen sein, Männer und Frauen, die da auf dem Waldboden saßen und sie ansahen. Ihre Gespräche verstummten, feindselige Blicke flößten Maria Angst ein. Sie zog ihren Mantel enger.
    Ihr Blick fiel auf die alte Sigrun, die sie zu sich winkte. Sie ging durch die schweigende Menge und ließ sich neben der Alten auf den Boden nieder.
    »Ich wußte, daß du kommen würdest, mein Kind«, sagte Sigrun, »aber es war nicht klug. Was werden die Pfaffen dazu sagen?«
    Sie lachte leise, und die anderen begannen, ihre Gespräche wiederaufzunehmen und warfen der Fremden nur noch verstohlene Blicke zu.
    »Ihr selbst habt mich dazu gebracht«, sagte Maria ärgerlich. »Ich will die Wahrheit wissen, die

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