Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
Vom Netzwerk:
Musik zu schätzen wissen«, grinste er.
    Der Fiedler setzte an und kratzte so schräg über die Saiten, daß die schlafenden Soldaten von ihren Stühlen rutschten. Er ging von Tisch zu Tisch, ließ seine schrillen Töne erklingen und hüpfte dabei von einem Fuß auf den anderen. Er war ein schmächtiges Männchen mit verfilzten langen Strähnen in einem mottenzerfressenen Wams, dessen Farbe so verblichen war, daß man nicht mehr sagen konnte, welche Farbe es einst gehabt hatte. Als er am Tisch des Malers angekommen war, steckte ihm dieser eine Münze in die ausgebeulte Tasche, und der Musikus spielte wie besessen weiter.
    So ging das noch eine ganze Weile, bis sich der Geistliche die Ohren zuhielt und den Fiedler mit bösen Blicken traktierte. Als dann einer der Soldaten rief, wenn er jetzt nicht aufhöre mit dem Gejammere, dann würde er ihm die Kehle aufschlitzen, setzte der Musikus lachend die Fiedel ab und kam wieder an des Malers Tisch. »Soll ich den Herrschaften aus der Hand lesen?«
    Mathäus musterte ihn verächtlich. Der Kerl sah wirklich aus wie der letzte davongejagte Straßenköter mit seinen schmutzigen Haaren, dem farblosen Wams und den abgetretenen schwarzen, spitzen Schuhen. Aline hielt ihm ihre Hand hin. Er ergriff sie mit erstaunlicher Anmut und richtete seinen Blick auf die Handfläche.
    »Ihr seid vom Glück verfolgt, junge Frau«, sagte er schmeichlerisch, »habt einen hübschen Mann, der sich auf die Kunst versteht und genug Geld heimbringt. Vielleicht erwartet Ihr bald ein Kind, hm?«
    Er sah langsam von ihrer Hand auf in ihr Gesicht, in dem ein stilles Lächeln stand. »Vielleicht«, murmelte sie und senkte den Kopf.
    »Halsabschneider«, knurrte Mathäus und zog Alines Hand gereizt weg. Dann wandte sich der Musikus Rosalie zu. Beugte sich über ihre ausgestreckte Hand. So, dachte Rosalie, jetzt sehen wir, ob du etwas taugst. Sie sah ihn die Stirn kräuseln. Seine Strähnen fielen auf den Tisch, und er hob den Kopf.
    »Oft kommt heilsamer Rat aus hartem Balg,
der bei Häuten hängt
und bei Fellen flattert
und baumelt bei Bösewichten«, sagte er leise.
    Rosalie starrte ihn an. War das ein schlechter Scherz? Das war ein uralter Vers aus einer der alten Göttergeschichten, die heute kaum noch jemand kannte.
    »Wißt Ihr noch mehr?« fragte sie, wohl wissend, daß diese Frage eine alte rituelle Formel war. Er nickte irritiert.
    »Ein zwölftes kann ich,
seh ich zittern im Wind
den Gehenkten am Holz:
so ritze ich und Runen färb ich,
daß der Recke reden kann
und vom Galgen geht.«
    Sein Gesicht war bleich. »Ich führe ein liederliches Leben«, meinte er dann achselzuckend. »Ich habe es mir nicht ausgesucht. Meine Ahnen waren die alten Skalden, Poeten, Dichter, Götter. Ja, sie waren Götter.«
    Er lachte kurz auf, erhob sich und ging in die Küche zurück.
    »Verrückter Kerl«, brummte Mathäus, »was war das, was er zu Euch gesagt hat?«
    »Es war ein guter Rat«, gab Rosalie zurück, »er hat mir einen Rat gegeben, wo Rat zu suchen ist.«
    »Und«, fragte Aline, »könnt Ihr etwas damit anfangen?«
    Nein, sie konnte nichts damit anfangen. Sie sah durch das Fenster, wie der seltsame Kauz draußen vor dem Haus eine elende Schindmähre bestieg. Dann verlor er sich in der Dunkelheit. Der letzte Vers war ein Runenvers gewesen. Ein Runenzauber.
    »Kommt er oft hierher?« fragte sie den Wirt.
    »Manchmal, wenn er kein Geld mehr hat. Aber er spielt so schlecht wie eine Kröte. Er versteht sich mehr auf die Kunst des Handlesens. Ich habe alle Gäste befragt – er hat sich noch nie geirrt. Richtig unheimlich ist das. Was faselte er da von baumelnden Bösewichten?«
    Rosalie schwieg. Sollte sie sich Rat bei den Toten holen? War das der Sinn seiner Worte gewesen? Bei baumelnden Bösewichten? Der Magier auf dem Lüneburger Marktplatz fiel ihr wieder ein. Das war in der Tat ein baumelnder Bösewicht gewesen. Aber sie hatte sich nicht Rat bei ihm geholt. Sie war davongelaufen. Sie hatte ihre Höhle nicht gefunden, sie hatte nicht zugeschaut, wie alles sich regt und wandelt, sie hatte den Rat der Rune, die sie geworfen, in den Wind geschlagen. War dieser Mann mit seiner Weissagung ein Fingerzeig der Götter gewesen, weil sie ihren Rat nicht befolgt hatte? Runen waren göttliche Zeichen.
    »Wann kommt er wieder?« wollte sie wissen.
    Der Wirt lachte. »Oh, manchmal sehe ich ihn Wochen nicht, und dann wieder werde ich ihn überhaupt nicht mehr los. Ihr habt ihm angst gemacht, scheint mir, da ist etwas in

Weitere Kostenlose Bücher