Die Runenmeisterin
Eurer Hand, das hat ihm nicht gefallen.«
»Unsinn«, polterte Mathäus laut, »das ist ein Verrückter, den man in Ketten legen sollte.«
Aline nickte. »Ja, aber er ist fort, und ich bin müde. Gehen wir schlafen.«
Mathäus zwinkerte Rosalie zu. »Das geht alles auf meine Rechnung«, sagte er laut und fügte hinzu, daß er morgen zahlen wolle, und sie standen auf.
Im ersten Stockwerk lag die Gemeinschaftskammer. Daneben die Abseite für Rosalie. Darin ein wackliges Holzgestell mit verblichenen Laken. Rosalie bedankte sich bei den Eheleuten und verriegelte die Tür. Durch das schmale, mit Pergament zugestopfte Fenster zog der Wind, aber sie war froh, die Nacht nicht allein im Wald verbringen zu müssen. Sie legte sich auf das Bett und löschte die blakende Kerze.
Von unten drangen noch Stimmen der Gäste herauf, aber bald darauf herrschte Ruhe. Regen trommelte auf das Dach. Es war ungewöhnlich dunkel in der Kammer, und dann fiel ihr ein, daß Neumond war.
Mitten in der Nacht wurde sie wach. Leise, federnde Füße huschten über den Gang, ließen die Dielen knarren. Die Klinke ihrer Tür drückte sich nach unten. »Mach auf«, hörte sie eine Stimme flüstern. Mathäus’ Stimme. »Mach die Tür auf!«
Sie sprang aus dem Bett und überprüfte den Riegel. Schlich sich wieder zum Bett zurück. Darum also hatte er sie eingeladen! Sie hätte es sich denken können. Der wollüstige Kater konnte maunzen, soviel er mochte. Aber dann fuhr ihr die Angst in die Glieder. Wenn sie dem Kater seinen Willen nicht ließ, würde er morgen früh keinen Heller für ihre Übernachtung bezahlen. Und sie besaß kein Geld. Sie war eine Zechprellerin, sie hatte gegessen und getrunken, und Zechprellerei wurde hart bestraft.
Rosalie lag starr und steif auf ihrem Bett, während Mathäus noch immer vor der Tür stand und wilde Verwünschungen vor sich hin flüsterte. Dann wurde es plötzlich still.
Sie stand auf und trat ans Fenster, löste das Pergament. Sie mußte vor Sonnenaufgang das Haus verlassen, mußte zum Schuppen hinüber, in dem ihr Pferd stand. Es gab keinen Mond in dieser Nacht, denn es herrschte Neumond, die Zeit, in der jeder Zauber gefährlich ist, weil er sich in sein Gegenteil verkehren kann. Und sie würde dieses Gasthaus ohne Zauber nicht verlassen können. Die Türen würden verschlossen sein, und der geile Kater stand womöglich hinter irgendeiner Ecke und lauerte ihr auf.
Sie schob den Riegel zurück und öffnete die Tür. Da war nichts außer einem nachtschwarzen Flur. Sie tastete sich die Treppe hinunter.
Drei Wanen saßen auf einem Stein – niemand hat sie gesehen, niemand sie gehört. Sie wandeln Fisch in Fleisch und Wasser in Feuer.
Wißt ihr noch mehr?
Ich ging zum Wald und zum grünen Baum, zu finden den Zauberzweig. Ich finde den Zauberzweig.
Sie geisterte durch die Schankstube zur Haustür. Aber die war verschlossen. Sie tastete sich an Stühlen und Tischen entlang und versuchte, zur Küche zu gelangen. Hier roch es nach Kräutern und geräuchertem Fisch. Ihre Augen drangen durch die Dunkelheit, der Katzensinn ließ sie die Gegenstände erspüren, und sie bewegte sich lautlos wie ein Lufthauch. Die Tür zum Hof war unverschlossen. Aber er war da. Sie roch ihn. Doch wo steckte er?
Er kam aus der Gaststube, und den Schein der Kerze bemerkte sie erst, als er hinter ihr stand. Im Kamin glühte heiße Asche. »Wußt ich’s doch«, lachte er leise hinter ihr, »aber so leicht entwischt mir keine.«
Rosalie drehte sich um. »Kommt mit mir nach Raupach, und mein Herr wird Euch das Geld zurückgeben«, sagte sie ruhig.
»Ich will das Geld gar nicht«, gab er zurück und griff nach ihrem Arm. Sie zog ihn sanft weg und ging zum Kamin herüber. Er folgte ihr, sein Gesicht eine lüsterne Fratze im Kerzenschein. Sie fuhr mit der Hand in die Flamme und drückte sie aus. Steckte dann die Hand in die heiße Glut des Kamins. Sie war kalt wie Eis.
Du bist eine Runenmeisterin, Rosalie, hattest du das vergessen? Würdest du sonst allein durch dieses Land reisen?
Drei Wanen stiegen aus dem Wasser, drei Wanen stiegen ins Feuer. Wißt ihr noch mehr?
Mathäus starrte sie an, wie sie die Glut aus dem Feuer holte und in ihre Handflächen legte. Die Asche erkaltete in ihrer Hand. Und leuchtete dem Maler ins Gesicht, der zurückwich.
»Hexe! Du bist eine Hexe.«
Sie brauchte ihm die glühende Kohle nicht einmal ins Gesicht zu werfen. Er war so verängstigt, daß er von selbst die Flucht ergriff. Sie hörte seine
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