Die Runenmeisterin
hastigen Schritte auf der Treppe. Dann drückte sie die Tür zum Hof auf und schüttelte die Asche aus den Händen, sah, wie sie auf der Erde weiterglühte.
Ihre kleine Stute ist so leis wie der Wind, der ihnen beiden um die Ohren huscht. Immer nur der Straße nach. Als die Sonne auftaucht, ein rosa Flaum am Horizont, verlassen sie die Straße und reiten quer über die Heide. Rosalies Handflächen beginnen zu brennen – sie sind rot wie Feuer. Der Wald steht in hellen Flammen, Herbstgold hat ihn gefärbt, und die Hufe der Stute versinken in einem Teppich aus Blättern. Die Sonne steigt höher, und gegen Mittag erreichen sie die Mauern von Raupach. Zwei Soldaten kommen Rosalie entgegen, und weil sie sie erkennen, lassen sie sie passieren. Im Hof empfängt sie die laute Betriebsamkeit der Festung. Sie ist froh, wieder zu Hause zu sein.
In der Halle saß Maesfeld am Tisch. Erstaunt sah er auf, als Rosalie sich ihm näherte. »Bist du allein?«
Sie nickte. »Ja, Herr, die anderen sind noch in Lüneburg. Euer Arzt hat einen unschuldigen Menschen hingerichtet. Ich konnte seine Nähe nicht mehr ertragen.«
Berthold ließ Brot und Wasser bringen, und Rosalie durfte sich zu ihm setzen. Er sah gesund aus, eine frische Farbe lag auf seinem Gesicht, und seine Augen hatten diesen fiebrigen Glanz verloren. Er bemerkte ihren Blick und lächelte. »Ja, es geht mir gut. Die Wunde ist trocken. Aber was ist das für eine Geschichte, Kind? Bist du ganz allein hierhergeritten?«
»Ja, Herr.«
»Verrücktes Kind«, sagte er mit gespielter Strenge. »Aber es ist gut, daß du da bist. Zwei der Soldaten sind krank geworden, und niemand weiß, was ihnen fehlt.«
Die Tür ging auf, und Pater Clemens betrat die Halle. Er kam zum Tisch herüber und ließ sich neben dem Herren auf einem Stuhl nieder. Seine kalten, grauen Augen musterten Rosalie abschätzig.
»Ihr solltet sie bestrafen, Herr«, sagte er eisig, »ein anständiges Mädchen reitet nicht mit den Soldaten und schon gar nicht allein auf den Straßen.«
Der Priester beugte sich vor, packte plötzlich ihre Hände und starrte auf die dunkelroten Flecken auf den Handflächen. »Was ist das?« zischte er. »Wundmale, Teufelszeichen, verwerfliches Weib?«
»Ich habe mich verbrannt«, murmelte Rosalie.
Der Priester schnaubte verächtlich. »Herr, dieses Weib hat eine dunkle Vergangenheit, das wußte ich schon immer. Ich rieche den Geruch des Teufels ebensogut wie das saftige Lendenstück eines Ochsen.«
Berthold schüttelte verdutzt den Kopf. Er ahnte wohl nichts von ihren Schwierigkeiten mit diesem Diener Gottes. »Laßt es gut sein, Pater. Rosalie ist eine arme Waise.«
Aber der Pater war nun einmal in Fahrt geraten, und eine zornige Röte überzog sein sonst so fahles Gesicht. »Ihr laßt dem Mädchen zuviel durchgehen. Ich spüre in seiner Nähe üble Mächte.«
Berthold lachte. Rosalie aber starrte den Mann an. War ihre Herkunft so offensichtlich? Doch das, was er spürte, war wohl eher die Angst, die alle Kleriker anflog, wenn sie auf die Reste des alten Glaubens stießen – auf ihre eigenen vergessenen Schatten, gegen die sie einen vergeblichen Krieg führten.
Ja, Pater Clemens hatte eine vorzügliche Nase – er wußte, wann er auf ein verirrtes Schaf gestoßen war, und auch wenn er nicht wußte, daß Rosalie die Kunst der Alten beherrschte, körperlichen Schmerz durch absolute Konzentration zu bannen, so rührte eine Ahnung ihn doch an. Sie fixierten einander, er, der Hirte Gottes, und sie, Freyas Runenmeisterin, wie zwei Ritter vor einem Turniergang und maßen ihre Kräfte.
»Ich sah sie aus der Kammer des Arztes kommen«, sagte der Priester finster, »mehr als einmal.«
»Ist das wahr?« fragte der Herr leise.
Wußte er es nicht? Es konnte ihm nicht verborgen geblieben sein. Jeder hier wußte, daß der Arzt sich das mutterlose Kätzchen ins Bett genommen hatte. Was war daran verwunderlich? Die beiden trennten keine Standesunterschiede und auch sonst nichts. Bis auf den Gehenkten am Galgen …
»Was wahr ist, ist wahr«, sagte Rosalie orakelhaft.
»Immerhin …«, wandte sich Berthold an Pater Clemens, »… hat sie Lüneburg verlassen, weil Cai Tuam einen Menschen hingerichtet hat. Das spricht für ihre reine Seele.«
Der Priester aber lachte nur gehässig. »Einen Hexer, Herr. Einen Hexer hat er gehängt. Wenn sie einem solch üblen Subjekt Mitleid entgegenbringt, dann spricht das eher gegen sie.«
Bevor Rosalie etwas erwidern konnte, wandte sich der Herr
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