Die Runenmeisterin
Becher leer.
»Ich bin nicht Gott, Herr. Dieses Mittel benutzten die Griechen, wie ich schon sagte, und ich weiß nicht, ob es helfen wird.«
Berthold setzte den Becher ab und kostete den bitteren Geschmack auf der Zunge. Er hätte alles geschluckt, Schwefel, Feuer und Pech, wenn es nur helfen würde. Dann fiel er in die Kissen zurück und schloß wieder die Augen. Der Ire sah ihn an, und sein Herz krampfte sich zusammen. Sein Herr hatte nicht mehr viel Zeit, schon legte sich eine gefährliche fahle Blässe auf sein Gesicht, und sein Atem war flach.
Cai Tuam warf sich den Mantel über den Arm und wandte sich zum Gehen.
»Seid ehrlich, Cai«, flüsterte Berthold hinter ihm, »habt Ihr sie begehrt?«
Der Ire öffnete die Tür. »Nein, Herr, nie. Sie war Eure Frau.«
»Wenn Ihr Euer Versprechen gebrochen habt, dann seid Ihr jetzt frei zu tun, was getan werden müßte. Die Mörderin muß der Justiz übergeben werden«, flüsterte Berthold mit kaum hörbarer Stimme. »Es ist nur gerecht, wenn sie dafür büßen muß …«
Der Ire hatte nicht alles verstanden, aber es war nicht schwer, sich den Rest zusammenzureimen. »Verlangt Ihr das von mir?«
Berthold schwieg, aber das Schweigen war Antwort genug. Der Ire schlüpfte aus der Kammer und blieb draußen auf dem Gang stehen. War es nicht genug, wenn er sich von Rosalie lossagte, die er liebte wie keinen zweiten Menschen auf dieser Welt? Mußte er sie auch noch den Bütteln ausliefern? Ein für allemal Schluß machen mit der eigenen dunklen Vergangenheit, mit Zauber und Magie, Runenmeisterinnen und Hexen? Eine neue Zeit war angebrochen, die Zeit Christi, und die verlangte den Bruch mit den alten Ritualen. Die hatte ihre eigene Gerechtigkeit und verlangte Rache und Sühne für den Tod eines Menschen.
Cai starrte aus einem gegenüberliegenden schmalen Fenster auf die Heide. Mußte er seinem Herren nicht diesen letzten Wunsch erfüllen? Er war verwirrt und voller Sorge um den Herren, der sterben würde, verwirrt und voller Angst vor der Entscheidung, die er zu fällen hatte.
Er fand Maria in der Halle, wo sie am Tisch saß und auf ihn wartete. Tränen fielen ihr auf die gefalteten Hände. Tränen über den Vater und Tränen über ihr mißlungenes Leben. Sie wurde abgeschoben wie eine alte Mähre, die zu nichts mehr etwas taugt, und dabei war sie erst zweiundzwanzig. Er setzte sich neben sie und vermied es, sie anzusehen, als habe er ein schlechtes Gewissen.
»Konntet Ihr nicht Eure Zunge hüten, Maria?« fragte er endlich. Seine Stimme war leise und klang niedergeschlagen. »Hattet Ihr nicht schon genug Unheil angerichtet?«
»Bringt mich weg von hier«, gab sie müde zurück. »Vielleicht ist das Kloster ja der rechte Ort für mich.«
Sie standen auf und verließen die Halle. Marias Zelter war schon gesattelt, und Gepäck hatte sie kaum. Dort, wo sie hinging, brauchte man keine weltlichen Güter.
Tage in endloser Gleichmäßigkeit – von der Complet zur Prim und von der Prim zur Complet. Tage, der Reue über die Vergangenheit gewidmet, und Nächte voller unbekannter Träume. Maria lebte jetzt als Braut Christi, der nichts von ihr forderte als Güte und Barmherzigkeit, Unschuld und fromme Gedanken. Gefühle der Rache duldete er nicht, und die Liebe wurde in seinem Angesicht wieder rein und gefällig. Aber wem gefällig?
Maria lernte, ihre eigenen Bedürfnisse nicht mehr zu beachten. Müdigkeit, Hunger, Verzweiflung, die Lust, sich mitzuteilen, die Lust am Leben – alles war wie eingedickt in einem zähen, schweren Brei des Schweigens, in dem man versank und von wo aus man nur noch gesenkte Blicke in die Welt entsandte. Dennoch – das Kloster war der einzige Ort, wo sie sein konnte. Zu Hause erinnerte sie alles an ihren Vater und an diesen irischen Teufel. Gundeline hatte ihr vorwurfsvolle Blicke zugeworfen, die sie nicht ertragen konnte. Gundeline war jung. Wenn ihr Vater starb, würde sie sich wieder verheiraten, aber Maria war eine Ehebrecherin, die nie wieder einen Mann bekommen würde, auch wenn Berthold eines Tages nicht mehr da wäre.
Im Kloster bekämpfte man die schlechten Säfte des Leibes und reinigte den Geist von üblen Gedanken. Es bot Essen, einen Platz zum Schlafen und die Aussicht auf das ewige Leben. Manche, die hierherkamen, fanden endlich Ruhe und Geborgenheit, aber Maria wußte, sie gehörte nicht zu denen. Ein Rest Trotz war geblieben, den sie nicht an der Klosterpforte abgegeben hatte. Den sie Tag und Nacht mit sich führte wie ein
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