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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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Kaisers Heer lagerte seit einer Woche vor der Stadt Lübeck, die sich weigerte, den Kaiser einzulassen. Statt dessen stellten die Lübecker Bedingungen, und Heinrich hatte sich längst abgesetzt. Aber Heinrichs beste Leute saßen in der Stadt, die nun auch noch von der Seeseite durch die Dänen belagert wurde, um sie zu halten. Im Lager war der Teufel los. Dänen und Wenden waren eingetroffen, Schwaben und Pommern – die halbe Welt ging hier ein und aus. Der Kaiser hatte ein prächtiges Zelt errichten lassen, über dem sein Banner wehte. Er brachte seine Soldaten in Stellung und wartete ab. Gerüchten zufolge war die Versorgung der Stadt mehr als schlecht, so daß man im kaiserlichen Lager gelassen das Ende des Monats abwarten konnte. Wenn sie da drinnen nichts mehr zu essen hatten, würden sie aufgeben. Der Kaiser nutzte die Zeit, um den dänischen König zu empfangen. Das Lager glänzte farbenfroh, über den Feuern brieten ganze Ochsen, und der Wein floß in Strömen. Bei dieser Gelegenheit sah Rosalie auch den Kaiser selbst, dieses Kind der Birkenrune.
    Rosalie blieb für sich. Sie gehörte nicht hierher so wie die anderen Frauen, die im Lager waren. Marketenderinnen, die sich den Soldaten an den Hals warfen. Die hielten sie für ein seltsames Geschöpf, weil sie wegen eines Mannes mit in den Krieg gezogen war. Rosalie wartete auf Cai, der sich mit den anderen Soldaten direkt vor den Mauern der Stadt aufhielt, und bangte um Raupach. Machte ihr ein Soldat schöne Augen, dann hielt sie ihn sich mit dem bösen Blick vom Leib, doch manchmal fragte sie sich, wofür all diese bösen Blicke, denn Cai kam immer seltener.
    ›Immer das gleiche Lied, Rosalie‹, sagte sie sich. Not, Nacht, Tod. Warten auf Liebe. Warten auf hartem Lager mit den Stimmen der anderen Soldaten im Ohr. ›Geh fort von hier‹, sagte sie sich. Doch wohin? Nach Raupach konnte sie nicht mehr, das wußte sie. Die Gesichter im Feuer. Jemand war in ihrem Garten gewesen. Jemand würde sterben. Wo ist Raupach? Was ist mit Berthold? Und die Gesichter hören nicht auf. Geister einer verlorenen Vergangenheit. Urd, die zu ihr spricht. Aber ich habe dich nicht gerufen, Urd. Um sie herum Leben wie in einem Bienenstock. Bunte Zelte, das Klirren von Sporen und Waffen, der Geruch von Gebratenem. Soldatengesänge, Frauenlachen.
    »Komm mit, Rosalie«, rufen die Frauen ins Zelt hinein. »Die Soldaten und der Kaiser, die mit den Lübeckern verhandeln, sind zurückgekommen. Vielleicht ist deiner ja dabei.«
    Der Sand der ins Lager sprengenden Pferde spritzt bis an die Wände ihres Zeltes. Rosalie will ihn nicht mehr. Urd hat sie gerufen, die wie ein alter Bär hinter Käfigstäben hockt und mit trüben Augen auf eine vorbeifliegende Gegenwart glotzt.
    Rosalie steht auf und geht hinaus. Er ist da. Verschwitzt, müde, mit toten Augen. Augen wie Asche. »Raupach ist verletzt.«
    Sie nickt nur. Du hast nicht auf ihn aufgepaßt, Ire. Aber er packt ihren Arm. »Ich habe ihn nicht aus den Augen gelassen. Er ist vom Pferd gefallen. V OM P FERD GEFALLEN .«
    Er sieht sie kopfschüttelnd und fassungslos an. »War das deine Magie, Hexe?«
    »Ich habe es gewußt«, nickt Rosalie, »ich hatte die Runen geworfen …«
    »Wer war in deinem Garten?« fragt er wütend, als ob es ihre Schuld sei, was geschehen ist. »Wer wird sterben?«
    Sie weiß es nicht. An Gesichter kann sie sich nicht erinnern. Raupach oder Berthold?
    Am Abend ging sie in Raupachs Zelt. Sie kam sich vor wie ein Schuh, der an keinen Fuß mehr paßt. Raupach war mit dem Kopf gegen einen Stein geschlagen. Er war bewußtlos. Der Ire stand an seinem Bett und regte sich nicht. Ein Öllämpchen gab nur spärliches Licht. Aber als er sie hörte, drehte er sich um.
    »Was bedeutet das alles, Rosalie? Ich habe jemanden nach Raupach geschickt, der kam heute morgen zurück. Maria ist verschwunden und Maesfeld fast verblutet. Und Raupach …«
    Jemand war in ihrem Garten gewesen, und jemand wird sterben. Sie brauchte nur die richtigen Namen in diese verworrenen Bilder einsetzen.
    »Grundgütiger Gott«, murmelte der Ire, »ich muß nach Raupach, und das so schnell wie möglich. Was ist geschehen, Rosalie?«
    Sie schwieg irritiert. So mußte es gewesen sein – Maria war in ihrem Garten gewesen, und Berthold würde sterben. Sie dachte mit Bestürzung an die Worte des Pilgers. Hatte Maria die Wahrheit herausgefunden? Aber was hatte das mit Maesfeld zu tun? Plötzlich erfaßte sie eiskaltes Entsetzen.
    »Rosalie«, flüsterte

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