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Die Runenmeisterin

Die Runenmeisterin

Titel: Die Runenmeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Groß
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da der Ire drohend, »du hast Monreal umgebracht.«
    Er wußte es also. Aber wer hatte sie verraten? An dem Tag, als die Pilger nach Raupach gekommen waren, hatte sie dort gesessen wie auf einem Vulkan. Vorher war sie sicher gewesen. Niemand hatte sie gekannt – sie war für alle das Kind einer fremden Frau, die von Wegelagerern umgebracht worden war. Selbst Maria, die keine Ruhe geben wollte, war nie auf sie verfallen.
    »Es muß alles damit zusammenhängen. Also, antworte!«
    Hatte er es all die Zeit gewußt und es nie verraten? Rosalie nickte müde. »Von wem weißt du es?«
    »Der Junge«, sagte er, »er hat es damals in diesem Keller gestanden. Da kannte ich dich noch nicht, aber ich wußte, daß du Sigruns Tochter bist, und ich habe dich geschützt.«
    »Und Maria?« fragte sie bestürzt.
    Da lachte er leise. »Maria hatte sich in die Vorstellung verrannt, ich sei es gewesen.«
    Dann saß er da, am Ende von Raupachs Lager und erzählte ihr alles. Von Marias Liebe zu Monreal, von ihrer seltsamen Erpressung, von dem Jungen und von seinem Kind, das sie umgebracht hatte. Erklärte, daß er Sigrun das Versprechen gegeben hatte, auf ihre Tochter aufzupassen und sie zu beschützen.
    Und mit jedem Wort wurden sich beide immer fremder. Alle Träume ausgeträumt, alle Möglichkeiten verloren. Rosalie konnte nie mehr nach Raupach zurück, das war zu gefährlich. Und wenn Maesfeld nicht überlebte, dann hatte der Ire keinen Herrn mehr und, schlimmer noch, keinen, der ihm die nötigen Urkunden besorgte, die er brauchte, um ein richtiger Arzt zu werden. Das hieß, weiter durch die Welt ziehen und für Geld Kriege führen, die er nicht gewollt hatte. Doch das Schlimmste sollte noch kommen:
    »Ich habe deiner Mutter ein heiliges Versprechen gegeben«, sagte er finster, »aber wenn ein Versprechen nur Unglück heraufbeschwört, dann ist es besser, man bricht es. Und genau das werde ich jetzt tun, Tochter einer Runenmeisterin. Die Götter sind tot, Rosalie, es gibt sie nicht mehr, und die Runen sind tote Steine, die nichts bewirken außer Unglück, und ich will verdammt sein, wenn ich mich nicht auch von dir lossage.«
    Das also hatten die Nornen bei ihrer Geburt zusammengesponnen. Hatten ihr Leben mit all diesen Toten verknüpft und ihr dafür die Schuld in die Schuhe geschoben.
    »Damit in Zukunft keine Schuld verbleibt«, hatte Skuld bei ihrer Geburt gesagt.
    Gewebt und gesponnen einen Faden in die Kreuz und in die Quer. Böser Anfang und böses Ende.
    Rosalie wanderte an diesem Abend einsam über den Lagerplatz, vorbei an des Kaisers schönem Zelt, und suchte einen ruhigen Platz zum Schlafen, denn bei Cai Tuam konnte und wollte sie nicht bleiben. Den Beutel mit den Runen trug sie in ihrer Tasche. Sie vergrub ihn mit den bloßen Händen in der trockenen, harten Erde und wanderte weiter.
    Sie wanderte bis zu einem Sumpf. Eine Spinne saß in ihrem Nest und beobachtete die Wandernde. Sie saß in einem alten Baum, einer Eibe, zwischen den grünen Borsten ihrer Zweige. Und darunter hockte ein alter Mann, der sah aus wie ein Pferdeknecht.
    »Wohin willst du?« rief er Rosalie an.
    »Wohin es geht«, gab die zurück.
    Der Alte lachte. »Hier geht’s nirgends hin. Du bist hier im Reich der Pferde. Not ist nichts – das ist das Gesetz, das hier herrscht. Du kennst die Rune?«
    »E HWAZ «, murmelte Rosalie, »ja, aber ich habe die Runen vergraben. Ich kenne das Reich der Pferde nicht mehr.«
    Da lachte der Alte noch lauter. »Verleugnest du jetzt schon deine Mutter, Runenmeisterin?«
    »Wer bist du?« fragte sie entgeistert.
    »Ich kenne dich«, gab er zurück, »weißt du nicht, daß die heiligen weißen Pferde das beste Orakel sind? Besser als jede Rune? Ich war einst ein Pferdepriester, aber das ist lang vorbei. Geh zurück, Rosalie, du wirst das Ende der Welt nicht finden, und wenn du hundert Jahre wanderst. Hinter dir liegt nur das Ende alles Dinglichen, M ANNAZ – hier aber beginnt das Reich der Pferde. Einer wird hierher in diesen Sumpf kommen, der dir sehr nahesteht, das sagt das Orakel der Pferde, aber du wirst ihm den Tod wünschen. Geh zurück in deinen Wald, in deine Hütte, bevor noch mehr Unheil entsteht.«
    »Ich kann nicht zurück«, sagte sie bitter. Die Spinne in ihrem Seidenknoten kroch hin und her, und ein halber Mond schien ihr auf den Pelz. Wie sah es aus im Reich der Pferde? Welche Gesetze herrschten hier?
    Der Alte nickte. »Es ist das Land der göttlichen Gesetze, wenn die Nornen mit den Runen würfeln und

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