Die russische Gräfin
»Das heißt, außer daß es Ihnen nicht gelungen ist, Gräfin Rostova zu einer Rücknahme ihrer Beschuldigung zu bewegen.«
Rathbone starrte ihn an. Erstes Verblüffen wich einem haßerfüllten Ausdruck. »Ich beschäftige Sie und nicht umgekehrt, Monk«, beschied er ihn kalt. »Falls es einmal so weit kommt, dann können Sie gern von mir Rechenschaft über meine Aktivitäten verlangen, aber nicht vorher.«
»Mit anderen Worten: Sie haben nichts Brauchbares geleistet!« bellte Monk.
»Wenn Sie sich nicht zutrauen, etwas in Wellborough Hall zu leisten, dann sagen Sie es mir jetzt«, parierte Rathbone.
»Ansonsten verschwenden Sie bitte nicht das bißchen Zeit, das uns noch bleibt, mit Streiten. Machen Sie sich auf den Weg. Und wenn Sie Geld benötigen, wenden Sie sich an Simms.«
Monk fühlte sich zutiefst gekränkt; nicht so sehr wegen des Seitenhiebs auf seine Fähigkeiten – den hatte er voraussehen können und vielleicht auch verdient –, sondern wegen der Bemerkung über das Geld. Damit wurde er ja auf eine Stufe mit einem Händler gestellt. Und nichts anderes hatte Rathbone beabsichtigt. Er hatte ihn spüren lassen wollen, daß er gesellschaftlich und finanziell nicht auf der gleichen Stufe stand wie er. Zugleich verriet seine Reaktion das Ausmaß seiner Angst.
»Ich werde nichts herausfinden«, stieß Monk hervor. »Es gibt nichts herauszufinden!« Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte hinaus. Hinter ihm fiel die Tür mit einem Knall ins Schloß.
Allerdings mußte er Simms tatsächlich um mehr Geld bitten, auch wenn ihm das so sehr gegen den Strich ging, daß er fast darauf verzichtet hätte. Doch seine Lage zwang ihn dazu.
Erst als er wieder im Freien war, hatte er sich so weit beruhigt, daß er nachvollziehen konnte, unter welchem Druck Rathbone stand. Wenn er so tief sank, daß er Monk beleidigte, bewies das mehr als jedes Wort, das er hätte sagen können, wie verletzlich er im Augenblick war.
Monk entschied sich nicht bewußt, Hester aufzusuchen, vielmehr erschien es ihm als das Natürlichste, Rathbones Dilemma und seine eigene Wut und Hilflosigkeit mit ihr zu erörtern. Wenn alles über einen hereinbrach – auf Hester war immer Verlaß. Sie hatte diese ruhige Art an sich, mit der sie einen auffing.
Monk sah einen Hansom in der Vere Street, rief nach dem Kutscher und beschleunigte seine Schritte. Das Gefährt hielt auch sofort an. Im Einsteigen nannte er als Ziel die Hill Street, wo Hester zumindest noch vor seiner Abreise nach Venedig gearbeitet hatte. Es störte ihn, daß er ein so dringendes Bedürfnis nach ihr empfand, aber plötzlich konnte er nur noch an sie denken. Und nach der Affäre mit Evelyn sehnte er sich geradezu nach einer platonischen Begegnung.
Er ließ sich in seinem Sitz zurücksinken. Der Kontinent war aufregend gewesen – so viele Eindrücke, die völlig anderen Gerüche einer fremden Stadt, die ungewohnten Laute der exotischen Sprachen –, doch jetzt war es herrlich, wieder daheim zu sein und das Vertraute um sich herum zu haben. Ihm dämmerte, wie anstrengend es gewesen war, nur Bruchstücke zu verstehen, sich darauf konzentrieren zu müssen, wenigstens ein Wort aufzuschnappen, mit dem man etwas anfangen konnte, und aus dem Gebaren der Leute abzuleiten, worum es überhaupt ging. Ständig war er auf den guten Willen anderer angewiesen gewesen. Jetzt wußte er, welche Freiheit man in der vertrauten Umgebung genoß, welches Wissen und welche Macht sie einem gab.
Eigentlich wußte er gar nicht, was er Hester erzählen wollte. Er war noch völlig aufgewühlt und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Nun, beizeiten würde er schon wieder durchblicken.
Der Hansom hielt in der Hill Street, und der Kutscher wartete auf sein Geld.
»Danke«, murmelte Monk zerstreut und drückte ihm die Münzen und zwei Pence Trinkgeld in die Hand. Dann überquerte er den Vorgarten und stieg die Stufen zum Haus der Ollenheims empor. Plötzlich fiel ihm ein, daß es Hester vielleicht gar nicht recht war, wenn sie unangemeldeten Besuch bekam, noch dazu von einem Mann. Am Ende bekam sie noch Schwierigkeiten, wenn ihre Arbeitgeber das falsch verstanden. Trotzdem ging Monk entschlossen weiter, klingelte energisch und wartete.
Ein Lakai erschien in der Tür. »Guten Tag, Sir?«
»Guten Tag.« Monk hatte keine Lust, Höflichkeiten auszutauschen, aber die Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß man so in der Regel am weitesten kam. Er legte seine Karte auf das Tablett des Dieners. »Ist Miss
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