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Die russische Gräfin

Die russische Gräfin

Titel: Die russische Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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konnten, um sie zu einer gütlichen Einigung zu bewegen?«
    Rathbone funkelte ihn an.
    »Überflüssige Frage«, lenkte Monk ein. »Aber sie war nicht dazu bereit. Nun, es sollte uns zumindest gelingen, die Geschworenen davon zu überzeugen, daß Mord jedem verantwortungsbewußten Zeugen als das Naheliegendste erscheinen mußte.« Er beobachtete Rathbones Gesicht. »Sie werden den Arzt in den Zeugenstand rufen und ihm harte Fragen stellen.«
    Rathbone schloß die Augen. »Eine Exhumierung?« stöhnte er.
    »Der Lord Chancellor wird begeistert sein! Sind Sie sicher, daß wir das gut begründen können? Wenn nicht, werden sich die Behörden querstellen. Ob abgedankt oder nicht, Friedrich war immer noch Kronprinz eines anderen Landes.«
    »Aber er wurde in England begraben«, entgegnete Monk. »Er ist hier gestorben, und damit unterliegt er dem britischen Gesetz. Außerdem ging er ins Exil und war damit staatenlos.« Er beugte sich weiter vor. »Vielleicht erübrigt sich aber eine Exhumierung. Allein schon weil sie wissen, daß wir sie erzwingen können, rücken der Arzt, die Wellboroughs und deren Bedienstete vielleicht mit weitaus konkreteren Antworten heraus als bisher.«
    Rathbone stand auf und stellte sich vors Fenster. Ganz gegen seine Gewohnheit steckte er die Hände in die Hosentaschen, womit er den schönen Schnitt ausbeulte.
    »Ich habe wohl keine andere Chance, als zu beweisen, daß es Mord war. Damit könnte ich wenigstens zeigen, daß Zorah nicht in böswilliger Absicht gehandelt, sondern sich nur schrecklich geirrt hat. Und wenn jeder Zweifel an Giselas Schuld ausgeräumt ist, wird sie sich ja vielleicht doch noch entschuldigen. Wenn nicht, kann ich nichts mehr für sie tun. Dann habe ich eben eine Verrückte verteidigt.«
    Aus Taktgefühl enthielt sich Monk eines Kommentars, doch sein Schweigen war nicht minder beredt.
    Rathbone wandte sich nun wieder Monk zu. Um seine Lippen spielte ein wehmütiges, selbstironisches Lächeln. »Vielleicht sollten Sie noch einmal Ihr Glück in Wellborough Hall versuchen und mehr Details in Erfahrung bringen. Der einzige Sieg, den wir jetzt noch erwarten können, bestünde in der Aufdeckung eines Mordes. Das brächte Zorah zwar keinen Freispruch, aber sie stünde in der öffentlichen Meinung etwas besser da. Und darum kämpfen wir schließlich auch. Gebe Gott, daß nicht die Königin die Mörderin war!«
    Monk erhob sich. »Zwischen heute und Montag?« Rathbone nickte. »Wenn es Ihnen möglich ist.«
    Monk spürte, wie ihm die Zeit davonlief. Von ihm wurde mehr verlangt, als er schaffen konnte. Und seine Aufgabe machte ihm angst, weil er doch unbedingt gewinnen wollte. Wenn er scheiterte, verlor Rathbone sehr viel, vielleicht sogar die ganzen Früchte seiner Arbeit. Und nach einem so schwerwiegenden Fall wie diesem würde er seinen Ruhm nie zurückgewinnen können. Zorah war nicht eines beliebigen Verbrechens schuldig, sondern hatte sich an einem der gesamten Gesellschaft heiligen Tabu vergangen. Sie hatte die Gefühle und Überzeugungen sowohl des Adels als auch der einfachen Leute verletzt, die sich zwölf Jahre lang von einer Liebesgeschichte, einem wahrgewordenen Märchen hatten entzücken lassen. Nicht nur ein fremdes Königshaus wurde damit in den Schmutz gezogen, sondern auch das eigene. Zu Hause oder bei guten Freunden konnte man Monarchen ruhig kritisieren, aber ihre Fehler in einem Gerichtssaal vor aller Öffentlichkeit bloßzustellen, das war etwas anderes. Einem Mann, der das für nötig hielt und auch noch die Frau schützte, die diese Lawine losgetreten hatte, würde man das nicht so schnell verzeihen.
    Und falls Ulrike oder jemand aus ihrem Umkreis – ob mit oder ohne ihr Wissen – hinter dem Mord stand, so wäre das eine Katastrophe. Rathbone wäre in aller Leute Munde, aber nur wegen dieses einen aufsehenerregenden Falles. Und niemand, der auf sich hielt, würde mit ihm in Verbindung gebracht werden wollen. Sein Ruf als Anwalt wäre nichts mehr wert.
    Nein, Rathbone hatte kein Recht, ihm, Monk, zuzumuten, ihn vor den Folgen seiner Dummheit zu bewahren. Monk nahm sich selbst übel, daß er nicht dazu in der Lage war. In dieser Situation hatte er ja schon einmal gestanden. Und es schmerzte ihn heute genauso wie damals.
    »Es wäre vielleicht ganz nützlich, zu erfahren, was Sie in den letzten drei Wochen herausgefunden haben, während ich durch halb Europa gejagt bin, nur um zu entdecken, daß Gisela völlig unschuldig ist«, sagte er in schneidendem Ton.

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